Warum hohe Dispozinsen?

Die Dispozinsen waren bis in die 1980ziger Jahre die Liquiditätskredite der kleinen Leute zu günstigen Zinsen ohne Bearbeitungsgebühren mit flexibler Anpassung bei geringstmöglichen Servicekosten. Die Zinssätze waren niedriger als beim Ratenkredit. Das ist vorbei.

Das Ganze war nicht nur möglich, weil dies die billigste Form von flexiblen Kleinstkrediten ohne Personalkosten ist, sondern auch weil Banken mit den zinsfreien Einlagen der wohlhabenderen Mittelschicht die kurzfristigen Liquiditätsbedürfnisse der Familien und kleinen Leute auf dem Girokonto subventionierten. Dieses soziale Kreditsystem verhinderte in Deutschland eine Ausbeutung, wie sie in England mit sog. Payday Loans (Überbrückungskrediten bis zur nächsten Lohnzahlung) über Haustürvermittler mit Zinssätzen bis zu 800% p.a. die soziale Infrastruktur zerstörten und aktuell die Öffentlichkeit beschäftigen. (siehe unsere Meldungen hierzu) Wir konnten mit unseren Überziehungskrediten das deutsche Kreditsystem in den USA immer als vorbildliches System gegen Wucher und Überschuldung darstellen. Auch damit ist es vorbei. In den USA hatte sich nämlich schon damals ein alternatives Wuchersystem entwickelt, das später das Weltfinanzsystem ins Wanken bringen sollte. Statt Kleinstratenkrediten entwickelten sich teure Kreditkartenkredite, die nach dem Schneeballsystem funktionierten und letztlich vor dem Systemzusammenbruch nur durch Umschuldung in Hypothekenkredite bewahrt werden konnten. Deren Zusammenbruch verursachte bekanntlich die weltweite Subprime-Krise, die zu Recht Wucherkrise hieß, bevor man sie in neo-liberaler Manier der Maßlosigkeit der Hausbesitzer unterschob.

Inzwischen haben die deutschen Banken und Sparkassen die lukrativen Möglichkeiten des anglosächsischen Wucherspiels erkannt.

Warum nimmt der Verbraucher Kleinkredite auf?

Wer arm ist muss ohne ererbtes oder erspartes Polster kurzfristige Ausgabe- und Einnahmeschwankungen mit Krediten überbrücken. Es gibt keine Alternative. Da der Bedarf nur kurzfristig erkennbar wird, befindet sich der Verbraucher in einer Zwangslage. Schnelle Abhilfe mit Ratenkrediten ist nicht möglich, die Familie ist kein Rückhalt mehr. Genau das nutzen Kreditkartenanbieter mit separater Kreditmöglichkeit ebenso wie die englischen Tallymen so aus, wie vor ihrer rigorosen Regulierung in Deutschland die Pfandleiher, die Dostojewski in Schuld und Sühne so treffend beschrieben hat. Das Geschäft mit der Not floriert also wieder. Banken stehen in England im Hintergrund wie beim größten englischen Wucherer Provident Finance, der nur das Geld der Großbanken verwertet und ihnen gehört. Sie selber haben eine weiße Weste.

Da in Deutschland die meisten Banken aus Konkurrenzgründen auf selbständige Kredite mit Kreditkarten verzichtet haben (sie wollten nicht American Express, Barclays oder gar Kaufhäusern die Tür öffnen), bieten sie Kreditkarten an, die keine sind sondern nur Zahlungskarten, die den Überziehungskredit des Kontos vermitteln. Daher kamen sie allmählich auf den Geschmack, den Überziehungskredit de facto in einen wucherischen Kreditkartenkredit zu verwandeln, der sich ja als wettbewerbsresistent erwiesen hatte. Das gelang besonders, weil bei Überziehung des Limits die Gerichte nicht mehr den niedrigen Verzugszins anwandten sondern darin eine freie neue Vereinbarung sahen, obwohl diese gerade nicht „gestattet“ war. Der soziale Schutz beim Verzugszins, den die Gerichte 1986 aufgebaut hatten, wurde so umgangen.

Die EU-Kommission hat diesen Wucher auf Druck der Lobby als sog. Überschreitungszinssatz legitimiert. Man muss ihn nur noch angeben. Die Kontoüberschreitung in Deutschland wurde zum englischen Payday Loan und hatte dieselben wucherischen Zinssätze wie die Kreditkartenkredite von den Banken in Deutschland, die den Kredit der Karte nicht vom Girokonto sondern durch gesonderte Kreditvergabe bereitstellen. (z.B. Commerzbank, Berliner Bank etc.) Dass das nicht alle mitmachen müssen, hat unlängst die ING-DIBA gezeigt, die für beide Überziehungen denselben Zinssatz nimmt. (dazu unser Kommentar).

Die Irreführung des Justizministers

Das sozialdemokratisch besetzte Justizministerium, dem jetzt auch der Verbraucherschutz zugeordnet wurde, will nun weder die Ausbeutung der Not durch Überschreitungszinsen (die ja von einer ebenfalls sozialdemokratischen Justizministerin in der EU-Richtlinie eingefügt und legitimiert wurden) regeln noch überhaupt das Problem angehen. In seiner Studie für das CSU geführte Verbraucherministerium in der letzten Legislaturperiode hatte das iff dagegen noch die Probleme deutlich aufgezeigt und viele Kompromisslösungen vorgeschlagen, was in der Presse positiven Widerhall fand.

Doch jetzt erkennt der Minister implizit, dass die armen Verbraucher selber Schuld sind und vor ihrem Tun gewarnt werden müssen. Sie sollten hier Konto nicht überziehen. Die alleinerziehende Mutter, deren Kind das Fahrrad kaputt gefahren hat, mit dem es zur Schule fährt, sollte doch lieber drei Monate mit der Reparatur oder dem Neukauf warten und stattdessen ansparen. Deshalb will die Bundesregierung jetzt zu den 100ten von Informationspflichten im Konsumkredit (von 1 auf 30 Seiten wurden die Verträge ausgeweitet, fünfmal wird derselbe Unsinn heruntergebetet) Nummer 101, einen Warnhinweis, hinzufügen. (Das ist so, als ob das Straßenverkehrsamt die Löcher auf der Autobahn mit jeweils fünf Hinweisschildern versieht statt sie auszubessern.)

Dass „die Commerzbank der Idee etwas Positives abgewinnen“ kann, wie Die Zeit berichtet, ist empörend. Alle Bankenverbände sehen inzwischen in der Informationsflut der Konsumentenkreditrichtlinie ein Übel für alle Parteien. Keiner sieht darin einen Nutzen für die verantwortliche Kreditaufnahme. Viele Banker bedauern hinter vorgehaltener Hand, dass sie bei ihrem kompromisslosen Kampf gegen den Richtlinienentwurf 2002 praktisch allen echten Verbraucherschutz durch Bankenregulierung gegen Informationspflichten eintauschten. Diese schriftliche Information ist so teuer geworden, weil sie nicht nur Papier verschlingt, vor allem Schulungskosten für das Personal bedeutet und beim Verbraucher das Misstrauen erhöht. Lesen tut diesen Unsinn niemand und man sollte es auch nicht. Die Verbraucher brauchen den Effektivzins und den Ratenplan, mehr nicht. So irreführende Details wie Einzelkosten oder die Angabe scheinbar zeitunabhängiger Gesamtkreditbeträge kann niemand mehr erklären. Keiner braucht sie und keiner versteht sie. Doch das sehen der Justizminister und sein Staatssekretär für Verbraucherschutz, der leider als Nicht-Jurist mit der Materie kaum vertraut sein dürfte, sowie die Commerzbank anders.

Sie weiß warum. Ihr Geschäft mit den Überschuldeten war schon mehrfach Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung, als sie Strafgebühren für Überschuldete auf dem Konto nahm. Ihre Kreditkartenkredite und Überschreitungszinsen setzen das fort. Darin will sie nicht durch Wuchergrenzen gestört werden. Soziales Gewissen war in ihrer Bankerdynastie immer nur dann gefragt, als es um die Hilfen des Staates zur ihrer Rettung vor dem Konkurs ging.

Das Verbraucherschutzkonzept des Justizministeriums ist klar: die Verbraucher sind dumm, unerfahren, selbst schuld und werden zu Recht durch Wucherzinsen bestraft, wenn sie ihr Kreditbedürfnis befriedigen.

Kredittests müssen realistischer werden

Doch auch die Verbraucherverbände sollten das Thema besser verstehen. Mit unsinnigen Tests von Zinssätzen, die nicht alle Verbraucher erhalten, unter Ausschluss von Situationen, in denen Wucher die Regel ist, bieten sie Zinsvergleiche für den billigsten Kredit nur für Reiche an, der die realen Bedingungen für Otto-Normal-Verbraucher ignoriert. Wir vermissen in den Preisvergleichen wie bei Biallo.de aber auch bei Warentest die Darstellung der größten Wucherer im Kreditgeschäft mit Überschreitungs- und Kreditkartenzinsen. Der Markt ist eine Informationsveranstaltung. Naming, blaming, shaming sind marktwirtschaftliche Tugenden. Das geht nur, wo echte Vergleiche stattfinden. Ein Warnhinweis ist eine Zumutung für Verbraucher, die ihren Kontoauszug lesen können. Er vermittelt aber einen Eindruck, wo das jetzige Justizministerium die Zukunft des Verbraucherschutzes nicht sieht – nicht in der Begrenzung von Bankenwillkür durch Recht sondern in der Schuldzuweisung an Verbraucher. Da war das CSU-geführte Verbraucherministerium noch besser, als es wenigstens die Tatsachen erforschen ließ. Wer glaubt, die neo-liberalen Dogmen, mit denen die Finanzkrisen ermöglicht wurden, seien überwunden, muss sich nur die Praxis der Bankenregulierung anschauen. (UR)