Das Landgericht Stuttgart hat in seinem Urteil vom 19. September 2013 – 6 O 1/13 – die Abrechnung der Kontoüberziehungen auf einem Girokonto der BW Bank in den Jahren zwischen 1998 und 2011 in vollem Umfang für rechtswidrig erklärt und einem Unternehmer 291.791,98 € zugesprochen. Die Klage beruhte auf der Berechnung von Ralph Hans Brendel, der als Kreditsachverständiger eine Website betreibt. Für das Gutachten der Zinsnachrechnung erhielt der Sachverständige ausweislich des Gerichtsurteils 14.589,60 €. Es handelte sich um ein bei Anwälten verbotenes Erfolgshonorar, das das Landgericht allerdings unbeanstandet ließ, weil es für die Berechnungen hohen Sachverstand für erforderlich hielt. Der Gutachter verfügt, nach eigenen Angaben auf seiner Website, über den notwendigen Sachverstand. Als Referenz gibt er unter anderem ein Kreditsachverständigen-Zertifikat an, welches ihm vom BVKK (Bundesverband der Kreditsachverständigen und Kontenprüfer e.V.) ausgestellt wurde. (Der Sachverständige ist Gründungsmitglied und 1. Vorsitzender des BVKK.)

Während das Landgericht das Gutachten für korrekt hielt, bezweifelte das OLG Stuttgart laut Stuttgarter Zeitung dessen Richtigkeit und hielt auch die Gutachterkosten nicht für vergleichsfähig. Gleichwohl ließ sich die BW Bank auf einen Vergleich über 160.000 € ein. Es gibt somit im Ergebnis weder ein rechtskräftiges Urteil des OLG noch des BGH. Inzwischen werben ein Sachverständiger sowie ein Anwalt mit diesem Urteil für mehr Nachrechnungen. Die Firma heißt zinspruef GmbH.

Werden im ZDF-WISO-Beitrag die richtigen Fragen gestellt?

ZDF WISO wird nun am 23. Juni 2014 werbewirksam über solche Nachrechnungen berichten. Die ist nicht die erste Sendung über den „Zinsklau” mit der problematischen Botschaft, die falsches Rechnen suggeriert und damit die Dienstleistungen von Rechenservices propagiert. In unserem damaligen Statement wurden diese Bedenken ausgespart, wodurch der Eindruck entstehen konnte, das iff stünde hinter solchen Einschätzungen. Wer das Statement der Verbraucherzentrale Hamburg (Edda Castelló) genau liest, wird auch dort finden, dass nicht das Rechnen sondern die Rechtsauffassung der Banken kritisiert wird. In dem neuen Ankündigungstext, den die zinspruef GmbH als E-Mail verschickt, heißt es:

„Die Maschen der Banken – Fragwürdige Geschäfte mit Zinsen und Gebühren. Welche versteckten Kosten warten auf den Privatkunden, welche Gebühren sind unzulässig und wie verhält es sich mit der ordnungsgemäßen Berechnung variabler Zinssätze? Diese und weitere Fragen klärt das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO am 23.06.2014 um 19:25 Uhr in der Sendung „Die Maschen der Banken”. Darin erhält „Ralph Hans Brendel, zertifizierter Kreditsachverständiger, Vorsitzender des Bundesverbandes Kreditsachverständige und Kontenprüfer e.V. und Fachlicher Leiter der zinspruef GmbH” das Wort „zu überhöhten Zinsabrechnungen bei Dispo-Konten. Weiterhin erläutert er anhand eines konkreten Gutachtens für einen Kunden in Baden-Württemberg, dass fehlerhafte Zinsanpassungen bei Darlehen durchaus Erstattungen in Höhe von mehreren Tausend Euro bedeuten können. Im konkreten Fall summierten sich die Fehler für den Kunden auf ca. 80.000 Euro.”

Falsche Rechtsanwendung statt fehlerhafter Berechnung

Liest man das Urteil, so geht es eigentlich nicht um die Berechnungen, sondern um die rechtlichen Fragen, wie auf dem Girokonto variable Zinsen sowie Überziehungsprovisionen zu behandeln sind. Das Gericht hält die entsprechenden Klauseln der BW Bank für nichtig und ersetzt sie durch eine dreimonatliche Zinsverrechnung (wie sie für Verbraucherkredite auf dem Konto vorgesehen ist) und bestimmt den EURIBOR/FIBOR zum Referenzzinssatz sowie die Marge der Veränderung, ab wann angepasst werden muss, auf 0,25 Prozentpunkte per annum. Außerdem lässt es mangels Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen die Verjährungseinrede nicht zu (§ 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB, der Paragraph wurde bei der BGB-Reform gerade in Hinblick auf Ansprüche gegen Banken eingeführt).

Das Urteil hätte wohl in dieser Form beim OLG Stuttgart keinen Bestand gehabt. Allerdings muss der BW Bank bewusst gewesen sein, dass sie nicht ungeschoren davon kommt. Der Vergleich dürfte dem kartellartigen Verhalten der Banken und Sparkassen geschuldet sein, bei verbraucherfreundlichen vorinstanzlichen Urteilen möglichst die Urteile der Obergerichte zu meiden, wenn absehbar ist, dass etwas davon hängen bleibt.

Wer verdient an den Fehlern der Bank?

Aus Sicht des Verbraucherschutzes fällt die Bewertung des gesamten Vorganges schwer. Dass es hier nicht um Verbraucher geht, weil sich die eine Nachrechnung in der Regel schon von den Kosten her nicht lohnt, schadet letztlich nicht. Die §§ 307, 315 BGB finden auf Verbraucher wie Unternehmer Anwendung. Deren Interpretation nützt also auch den Verbrauchern. Anders steht es mit dem Dienstleistungsangebot der zinspruef GmbH. Sie erhält ihren Zulauf mit der Behauptung, die Banken würden nicht richtig rechnen. Tatsächlich gibt es aber in der computerisierten Finanzwelt keine Rechenfehler. Auch das Landgericht weist in den Urteilsgründen keine aus, sondern sieht die Rechtspflichten der Banken bei der Verrechnung und Berechnung von Zinsen lediglich anders als die BW Bank. Es geht also um Rechtsfragen und nicht um Rechenfragen. Ob Brendel dafür kompetent genug ist, müssen andere entscheiden, aber es ist auf jeden Fall fraglich, ob er es überhaupt darf. Die Rechtsberatung in Deutschland ist per Gesetz geregelt und darf nur durch bestimmte Personengruppen erfolgen. Auf jeden Fall hat Brendel mit seinen Behauptungen eine große öffentliche Aufmerksamkeit sowie Eindruck bei Banken und Gerichten gemacht. Man würde sich sicher ein solches Ergebnis ohne den kommerziellen Hintergrund der Akteure wünschen. Doch die Verbraucherverbände sind bisher mit der Nachrechnung nicht nachgekommen. Das Programm iff-Finanzcheck, das dort seit Jahren verwendet wird, soll im Herbst internetfähig sein und dann automatisierte Überprüfungen durch Übernahme von elektronischen Kontenbewegungen kostengünstig anbieten können.

Es muss jedoch in der Öffentlichkeit klar sein, worum es geht. Es geht um die Regeln zur Zinsverrechnung auf dem Girokonto: Zinsmarge, Referenzzinssatz, Zinsverrechnungsperiode können in der Tat nicht willkürlich von Banken bestimmt werden. Das hat der BGH, aber auch die neue Richtlinie festgelegt. Sie sieht jetzt in Art. 247 § 3 (4) EG-BGB für Verbraucher folgendes vor: „Die Angabe zum Sollzinssatz muss die Bedingungen und den Zeitraum für seine Anwendung sowie die Art und Weise seiner Anpassung enthalten. Ist der Sollzinssatz von einem Index oder Referenzzinssatz abhängig, sind diese anzugeben. Sieht der Verbraucherdarlehensvertrag mehrere Sollzinssätze vor, sind die Angaben für alle Sollzinssätze zu erteilen. Sind im Fall des Satzes 3 Teilzahlungen vorgesehen, ist anzugeben, in welcher Reihenfolge die ausstehenden Forderungen des Darlehensgebers, für die unterschiedliche Sollzinssätze gelten, durch die Teilzahlungen getilgt werden.”

Für Ratenkreditverträge sowie für Hypothekenkredite ist die Rechtsprechung inzwischen einheitlich. Die für alle wichtigen Kontoüberziehungskredite werden jedoch rechtlich kaum von den Gerichten beurteilt. Insbesondere der BGH bekommt praktisch keine Gelegenheit dazu. Da kann sich die Presse empören (eine Zusammenstellung der Presseartikel findet sich bei (www.ralph-brendel.de/infocenter/) und die Banken können relativ sicher sein, dass sie bis auf ein paar finanzstarke Skandalfälle nicht viel ändern müssen, weil die eigentlichen Probleme im Dunkeln bleiben. Gerade erst hat ja die Regierungskoalition auf die Kampagne gegen die Ausbeutung der Schwächsten wegen der überhöhten Überziehungsprovisionen, die eigentlich den Schutz der Verzugszinsbegrenzung genießen müssten, mit einer zynischen Gesetzesinitiative reagiert: der Überschuldete, der sein Konto überzieht, erhält dies jetzt von der Bank mitgeteilt, damit er sein „Konto ausgleichen” kann. Einige Banken haben jetzt freiwillig auf diese Provisionen verzichtet. Öffentlichkeit ist also wichtig, weil Rechtsprechung und Gesetzgeber keine Antworten auf die Probleme mehr haben.