„Kaufrausch stürzt Deutsche in den Ruin – Konsum auf Punp zeigt Folgen: Fast jeder Zehnte ist in diesem Jahr überschuldet.” Das zeigen laut Die Welt (vom 7. November 2014, S. 10) „aktuelle Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform.” Übernommen wird diese Meldung von den Zeitungen und auch der Tagesschau.

Woher kommen die Zahlen?

Creditreform Holding AG legt über ihre Gesellschaften Boniversum (Auskunft zu Privatpersonen); Creditreform-Wirtschaftsforschung und Creditreform-Marketing zunächst im SchuldnerAtlas Deutschland allgemeine Zahlen aus öffentlichen Quellen dar, nach denen es weltweit(!) 150 Bio. Dollar Schulden gibt(Statistisches Bundesamt) Die Verschuldung in Deutschland habe 3,36 Mio Haushalte erfasst (Statistisches Bundesamt). Außerdem habe der private Konsum preisbereinigt um 0,8 % zugenommen (Statistisches Bundesamt). Zudem habe die Konsumentenkreditverschuldung von 217 auf 218 Mrd. € und die Anzahl der Neukredite zugenommen (Monatsberichte Deutsche Bundesbank/EZB). Das Originäre von Creditreform ist die Zusammensetzung zur pressewirksamen Hauptthese: Stärkerer Konsum führt zu höherer Überschuldung. Doch erfolgte der zusätzliche Konsum durch die Überschuldeten? Der Durchschnittsbürger wird zur Zeit in Deutschland in der Tat immer reicher und konsumfreudiger. Doch OECD und Bundesregierung (Reichtums- und Armutsbericht) weisen darauf hin, dass es diesen Durchschnittsbürger der Creditreform nicht gibt. Die Armutsschere geht auf.

Hat Creditreform überhaupt eigene Zahlen? Ihr Schwerpunkt liegt im Unternehmensgeschäft. Im Übrigen benutzt sie allgemein zugängliche Zahlen, angeblich (Wikipedia) zu 79 Mio der 80 Mio Deutschen, wobei das keine Kreditdaten sind. Im Übrigen ist sie als Inkassoinstitut tätig und hat natürlich die Daten derjenigen, bei denen sie eintreibt. Sie betreibt noch Adresshandel und macht gegen Einzelabrechnung Gutachten, was sich im Konsumbereich erst ab einer Luxusyacht lohnt.

Wir müssen daher annehmen, dass Creditreform keine belastbaren Daten zur Verbraucherüberschuldung hat. Tatsächlich verfügt hierüber allein die SCHUFA. Diese aber hat es aufgegeben, ihre Zahlen als Überschuldungszahlen und in einem Atlas wie noch im Schuldenkompass 2008 zu verkaufen. Sie stellt ihre Daten nun unter dem korrekten Titel „SCHUFA Kredit-Kompass 2014 – Empirische Untersuchung der privaten Kreditaufnahme in Deutschland” zur Verfügung. Was wir der Schufa einst entgegenhielten, hat nun Creditreform übernommen.

Mehr Überschuldung in Deutschland?

Überschuldung ist gestiegen, behauptet Creditreform und nennt auch die Zahl von zusätzlich 105.000 Verbrauchern. So etwaslässt das Inkassowesen anscheinend immer wichtiger werden. Der iff-Überschuldungsreport 2014 ebenso wie der SCHUFA Kredit Kompass 2014 gehen dagegen von einer leichten Abnahme aus. Das iff benutzt dabei die 50.670 von Experten detailliert dokumentierten Fälle aus der EDV-gestützten Schuldnerberatung, die SCHUFA ihr flächendeckendes Zahlenwerk über Konsumkredite und Konten. Beide sehen in der Überschuldung entsprechend der gesetztlichen Definition die Unfähigkeit auf absehbare Zeit seine Kredite bedienen zu können.

Was ist Überschuldung für Creditreform? Sie benutzt den Begriff im Titel. Danach aber geht es um einen bunten Reigen der Überschuldungsverhärtung, Überschuldungslage, Überschuldungsintensität, strukturelle Überschuldung, Überschuldungsverhalten wobei das Wort „real” auffallend häufig benutzt wird In den Tabellen erfahren wir dann auch etwas zur Datenbasis. Es handelt sich um extern gefundene Kreditdaten und damit wohl um eine bewusste Verwechselung – Creditreform nutzt keine eigenen Daten zur Überschuldung.Was dort ständig auf Regionen, Städte, Haushaltstypen, Alter und Geschlecht umgerechnet wird ergibt sich aus den Tabellen, wo es nur noch um Schulden und nicht mehr um Überschuldung geht. „Schuldnerquoten in Deutschland 2004 bis 2014 (einschl. Schuldner-Haushalte)” ist die Grundtabelle auf Seite 4. Man hat also wohl die Anzahl der Kreditnehmer im Konsumkredit auf die Anzahl aller Kreditnehmer umgelegt. Anderes jedenfalls erfahren wir nicht.

Doch man muss kein Sozialwissenschaftler sein, um die Problematik zu verstehen. Schuldner sind wir nämlich alle. Die Quote beträgt 100% und ändert sich nie. Wer telefoniert ist Schuldner, wer ein Haus baut und es mit einer Hypothek finanziert ist ebenso Schuldner wie der Mieter, der das Haus selber schuldet statt nur seinen Geldwert an die Bank zurückzahlen zu müssen. Auch wer im Konsumkredit „verschuldet” ist, ist deshalb keineswegs ein Kandidat für Überschuldung. Alle die Überziehungskredite und Kreditkarten benutzen, sind bei Banken verschuldet.

Schulden haben mit Überschuldung so viel zu tun wie Schweine mit der Schweinepest. Ohne Schulden gibt es keine Überschuldung aber deshalb die Schweine für die Pest verantwortlich machen? . Die SCHUFA teilt für 2014 mit, dass selbst „97,5 % aller Ratenkredite 2013, wie schon in den Vorjahen, ordnungsgemäß bedient wurden”. (Kredit Kompass 2014, S. 6) Zu behaupten, die Deutschen hätten nur die 214 Mrd. € Schulden, die die Bundesbankstatistik für den Kredit an private Haushalte auswirft, ist angesichts der fast 1,16 Bio. € Kreditschulden im Hypothekenkredit für das private Wohnen (Juni 2014) ohnehin absurd.

Auch wenn die Creditreform ihre Inkassozahlen sowie die öffentlich zugänglichen Informationen über die 121.784 Privatinsolvenzen (2013) einfließen lässt, so zeigt sich aus den Zahlen von SCHUFA und iff, dass sie damit nichts über die wirkliche Überschuldung in Deutschland aussagen kann. Beides sind stark selektive und wenig repräsentative Zahlen im Verhältnis zur Gesamtüberschuldung der Verbraucher

Creditreform ist selber ein Überschuldungsfaktor

Das iff stellt seit langem auch infrage, ob die Kreditzahlen überhaupt etwas aussagen. So bedeutet ein Neukredit – auf den sich Creditreform aber auch Bundesbank berufen – ja keinen Zusatzkredit. Jede Umschuldung ist ein Neukredit und man kann davon ausgehen, dass dies für 60 % der Neukreditaufnahmen zutrifft. Zahlen dazu werden nicht preisgegeben. Solche Umschuldungen erhöhen aber in der Zahlungsklemme der Kreditnehmer die Schuld, ohne dass der Kreditnehmer davon einen Cent mehr Kredit zur Verfügung hat. Die These steht also im Raum, dass angesichts der stagnierenden Konsumkreditzahlen der Banken davon ausgegangen werden muss, dass zwar die Konsumkreditschulden der Verbraucher insgesamt weiter steigen, gleichwohl diese Zunahme nur auf mehr Gebühren und Zinsen der Banken nach Umschuldung beruhen. Dass aus 30.000 € leicht 60.000 € bei einer Gesamtverzinsung von faktisch 30 % p.a. werden können, haben wir wiederholt öffentlich gemacht.

Erwiesen aber ist die Rolle der Anbieterseite bei der Überschuldung, die sich bei denen ergibt, die bereits überschuldet sind. Hier nämlich steigt sie rasant (Stichwort „Moderner Schuldturm”). Das war bisher mit Verzugszinsbegrenzungen und Tilgungsvorrang von Zahlungen Überschuldeter sowie mit derSchuldbefreiung in der Verbraucherinsolvenz bekämpft worden. Inzwischen ist die Inkassobranche zum Schuldenmacher Nr. 1 geworden. Ihr Anteil an den Forderungen bei Überschuldeten ist laut iff-Überschuldungsreport 2014 S. 26 von 9,1% im Jahre 2004 auf 11,9% im Jahre 2013 gewachsen, wobei ihre relativ kleine durchschnittliche Forderung in der aktiven Bevölkerungsgruppe von 3.747 € darauf hindeutet, dass sie dort im Bankgeschäft (13.787 €) noch nicht ganz angekommen sind, während sie wohl schon die Langzeitüberschuldung älterer Kreditnehmer über 65 (11.209 €) verwalten. Zum ersten Mal wurde auch ihr Einnahmeanteil an den Schulden der Überschuldeten erfasst. Bei den Forderungen der Inkassobranche waren ¼ (25,1%) auf die Forderungen aufgeschlagen, 18,2% an Zinsen und der Rest an Gebühren. Bei den Banken betrug die Quote nur die Hälfte (12,4%) Für ein Viertel der schulden und evtl. sogar für den größten Teil der nicht mehr zu bewältigenden Schulden bei Langzeitüberschuldeten sind die Inkassounternehmen somit selber verantwortlich.  Kein Wunder, dass sie sich in die Analyse der Überschuldung einmischt und dabei den Anteil, den sie zweifelsfrei mit eigenen Daten aufklären könnte, verschweigt und dafür einen überhöhten Konsum der Überschuldeten verantworltich macht.

Überschuldung – selbst schuld?

Die Inkassobranche zusammen mit RTL-Raus aus den Schulden oder der Schulden-Nanny von SAT1, zusammen mit kritikloser Journalistik, die ungeprüft Zahlen und Aussagen verbreiten, zeichnen seit Jahren das Bild von Schuldnern, die selbst schuld sind. Das hatte einst die Banken jetzt aber vor allem die in die Kritik geratenen Methoden der Inkassobranche gerechtfertigt und eine paternalistische Schuldnerberatung verlangt, die als Sozialinkasso Kredite nicht mehr beurteilen muss, dafür aber die Aldi-Preise auswendig kennt.

Zahlen dazu gibt es nicht. Die Einzelbewertungen der Schuldnerberater im iff-Überschuldungsreport 2014 (S. 9) zeigen, dass nach der Meinung der beratenden Experten nur in 10% der Fälle unangepasste Konsumentscheidungen (mit) eine rolle gespielt haben. Ganz überwiegend sind es unvorhersehbare Einkommensabfälle bzw. Kostensteigerungen :. Arbeitslosigkeit (39%),  Trennung (15%), Krankheit (14%), gescheiterte Selbständigkeit (11%) und neu hinzugekommen die Einkommensarmut (17,6%) etwa der Alleinerziehenden.  (iff-Überschuldungsreport S. 12)

Hatten die Banken früher noch mit der Inkassobranche zusammen das konservative (Selbst-)Überschuldungsbild vertreten, so zeigt der neuere sachlichere SCHUFA-Kreditkompass, dass man nunmehr die Schuldfrage für eher irrelevant hält. Das aber führt zur Zeit noch eher in die Ratlosigkeit. Niemand, auch der Finanzsektor kann nichts machen, wo der Sozialsektor versagt. Doch so einfach ist es auch nicht. Mit dem Prinzip der Verantwortungsvollen Kreditvergabe in §18b Kreditwesengesetz verlangt der Gesetzgeber jetzt auch von den Statistikern, herauszufinden, welche Kreditkonstruktionen, welche Banken, welche Umschuldungstechniken, welche Falschberatung  und welche verteuernden Zusatzprodukte wie Restschuldversicherungen oder Kombikredite die Überschuldung und Kreditkündigung befördern. Hier ist bisher noch gar nichts geschehen.

Würden SCHUFA und iff-Überschuldungsreport ihre im Streit unterbrochene Zusammenarbeit zum Wohle der Überschuldungsforschung fortsetzen, präventive Politik zur wirklich strukturellen Überschuldungsprävention könnte klarere Konturen erhalten.

Regionale Diskrimierung zusammen mit dem Deutschen Städtetag?

Wie einst der Schufa-Schuldenatlas diskriminiert der Creditreform Atlas dieStadt Wilhelmshaven. Wer dort wohne, sei eher überschuldet. Das iff hatte dies anlässlich der damaligen SCHUFA Karten schon im Report 2007 (S. 29) kritisiert und mit detailierten Überschuldungsdaten (S. 31f) die Überschuldungswahrscheinlichkeit im rot markierten Wilhelmshaven mit der blau markierten in  Hamburg verglichen. Fazit: an der Behauptung stimmt lediglich die Grundlage: in Wilhelmshaven gibt es mehr Arbeitslose als in Hamburg. Aber: ein Arbeitsloser in Wilhelmshaven hat eine geringere Wahrscheinlichkeit der Überschuldung als der im reichen Hamburg. Deshalb ist gerade auch die gegenteilige These richtig: Städte mit großen sozialen Problemen haben auch mehr Erfahrung und damit auch einen besseren Umgang mit diesen Problemen als diejenigen, bei denen die Problem (noch) nicht so gravierend sind. Man kann also aus Wilhelmshaven lernen statt es den Gläubigern als Risikogebiet zu verkaufen. Im übrigen verstößt Creditreform gegen das EU-rechtlich verankerte Diskriminierungsverbot von Wohnsitzen und Adressen. Wer keine Kredite mehr bekommt, weil er die falsche Postleitzahl hat, der wird vom System arm gemacht . die Überschuldungsintensität ist damit kein soziales Faktum sondern eine Marketingstrategie der Branche, die zulasten der Bewohner ganzer Gebiete Kosten sparen will. Letztlich ist es immer der einzelne Kreditnehmer, der kreditwürdig ist. Es ist eine perverse Funktion des Kapitalismus, den Armen mehr Zinsen aufzubürden, nur weil sie arm sind, auch wenn sie pünktlich alles zahlen, Armutsgebiete im Adresshandel auszusparen, weil die Auswahl schwieriger wird. Wirtschaft ist für alle da oder es ist keine Wirtschaft. Deshalb bekommt man auf der Hallig Hooge auch etwas zu essen, auch wenn in Wilhelmshaven die lebenswichtigen Überbrüchungskredite bereits rationiert sind.

Besonders bedrückend ist es, dass sich die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände ein Dankeschön im Vorwort verdient hat, dessen Hauptgeschäftsführer Articus von der tiefroten Nordsee stammt und sich in den Sozialdezernaten bestens auskennt. Man hätte vermutet, er wäre aus dem im Atlas zahlungsgrünen Bayern gekommen, dass hier gratis zu seinen sonstigen Vorteilen eine Investorenwerbung erhalten hat. (UR)