Die Freihandelsabkommen mit den USA und Canada sind auf dem Prüfstand. Das EU-Canada Abkommen CETA hat 1598 Seiten  in der englischen Fassung mit 230 Seiten Vorschriften und dem Rest Anhänge. Es liegt nun auch eine deutsche Übersetzung vor (Das TTIP Abkommen ist noch nicht öffentlich verfügbar soll aber ebenso bald verabschiedet und nach neuesten Vorschlägen sogar vorläufig in Kraft gesetzt werden.) Das ist kaum zu bewältigen. Eine Seite Antworten der Kommission machen nicht das Abkommen verständlich sondern entkräften Kritik. Dies ist unzureichend, unpräzise. Wie wollen wir in einer Demokratie so etwas diskutieren, wenn schon ein Absatz niemandem mehr verständlich ist?

Dabei greifen die Abkommen tief in unser Verständnis von Demokratie ein. Die Frage des Wirtschaftssystems wird im Vorfeld beantwortet, weil der Kapitalismus in einem Land schon aus Rücksicht auf die Investoren aus dem anderen Land unantastbar geworden ist, wo Kapital als solches geschützt wird. Wie weit das gehen soll, entscheiden nicht mehr die Parlamente. Geld soll, so könnte man meinen, allen politischen Konzepten zur Umverteilung zum Trotz auf Dauer geschützt werden.

So platt ist es allerdings nicht. Es gibt Hunderte von Ausnahmen und man wird alternative Konzepte darin durchaus wiederfinden. Doch sind die Löcher im Sieb die Hauptsache? Politik, Sozialstaat und Demokratie bleiben so in der Minderheit. Die Abkommen lassen sie allenfalls zu.

Wird das Ganze denn überhaupt relevant? Wir sehen an Polen, Slowakei und Tschechien, dass Abkommen über die Freizügigkeit die Unterschrift nicht wert sind, wenn ein Land von Relevanz ausschert. Frankreich könnte das nächste Land sein. Auch die Eurokriterien wurden zuerst von Deutschland gebrochen – doch wer will dem Wirtschafts- und Währungsführer hier Einhalt gebieten? Selbst Italien ist zu stark dafür. Bleiben nur Länder wie Griechenland.

Ineffizienz hilft aber nicht. Inadäquate, einseitig Wirtschaftsinteressen bevorzugende Regelungen führen zum Autoritätsverlust von Recht. Die Starken nehmen es in ihre Hand und der Rechtsstaat und damit Europa als Idee verlieren. Es lohnt sich also durchaus, sich mit diesen Abkommen zu beschäftigen – aber wie?

Wir beschränken uns hier auf den Verbraucherschutz und hier wiederum auf den Bereich Investition von Kapital und Finanzdienstleistungen. Beide haben ein eigenes Kapitel erhalten, das Kritiker wegen seiner Komplexität ungern aufgreifen.

Die Kritik

Während die Wirtschaftsverbände sowie EU-Kommission und Regierungen Freihandelsabkommen für notwendig halten, kommt die Kritik bisher von links aus Gewerkschaften und Umweltverbänden, die die kalte Abschaffung der auf nationaler Ebene erreichten sozialen Standards beklagen, und auf der Rechten von AFD, Front National und Donald Trump, die den Souveränitätsverlust ihrer Nationen beklagen und in die Zeit vor den Weltkriegen zurückkehren wollen. Diese Koalition flößt nicht gerade Vertrauen ein. Das gilt auch für Gewerkschaften und Umweltverbände. Die Gewerkschaften verteidigen Privilegien, die sie auf nationaler Ebene erreicht haben, bei denen sie aber versäumt haben, sie international durchzusetzen und festzuschreiben. Deshalb haben sie auch so wenig Argumente gegen die auf der Rechten verlangten Mauern und Grenzzäune, die als Arbeitsplatzschutzargumente ihre verheerenden politischen Wirkungen zeigen. Die Umweltverbände argumentieren meist auch konservativ und national. „Bei uns sei alles besser” und die bösen anderen wolle man nicht. Doch der Umweltfrevel hat sich eher national als international entwickelt. Arzneimittel- und PKW-Sicherheit sowie Abgaswerte werden in den USA besser kontrolliert. Anstöße für den Atomausstieg produzierten Japan und die Ukraine. Es geht nicht um national oder international sondern um das Verhältnis von Demokratie und Markt. Das war von Anfang an nicht spannungsfrei.

Der Verbraucherstandpunkt

Die Verbraucherverbände, die in Beiräten in Brüssel beteiligt sind, scheinen sich für keine Seite entschieden zu haben. Mit ihrem Marktargument, wonach freie Märkte die Preise senken, stehen sie hinter CETA und TTIP auf Seiten der Wirtschaft, mit ihrem Schutzargument bei den Gewerkschaften. Der vzbv begrüßt die Liberalisierung vermisst aber Verbraucherrechte (, die allerdings durchaus pauschal erwähnt werden.) Für ihn geht auch der Investitionsschutz zu weit, das Vorsorgeprinzip sei nicht gewahrt und das staatliche demokratische Engagement in der Wirtschaft (Sparkassen, KfW-Kredite) werde zu stark der Privatwirtschaft unterworfen

Ähnlich argumentiert das Positionspapier der europäischen Dachorganisation BEUC:

1.       Die Liberalisierung des Handels verschafft den Verbraucher die Möglichkeiten, davon zu profitieren wo sie zu einer nachhaltigen Wirtschaft führen. BEUC unterstützt grundsätzlich Freihandelsabkommen solange sie gut gemacht sind und den Verbrauchern nützen.

2.       Wir erwarten von CETA, dass es den Verbrauchern dadurch hilft, dass sie ihre Rechte in einem globalisierten Markt schützt und durchsetzt. Ein gutes CETA  Abkommen würde die Wohlfahrt der Verbraucher stärken, indem es die Preise von Gütern und Dienstleistungen senkt, mehr Auswahl und spürbare Vergünstigungen bietet.

Schon logisch widerspricht Ziff. 2 dem Freihandelsbekenntnis in Ziff. 1. Verbraucherschutzrecht ist auch in seiner marktkonformen Form immer ein Kartell, das der Staat allen Marktteilnehmern auferlegt. (Versuche der EU, Rechtsordnungen optional zu gestalten, sind daher mit Recht gescheitert. Das führt zur Entwertung des Rechts (race to the bottom). Man kann mit dem Markt keine Kartelle effektiver gestalten. Der Markt wehrt sich eben auch gegen staatlich verordnete und im Interesse des Gemeinwohls nötige Kartelle. Doch BEUC bleibt dabei auch nicht stehen.

Es überwiegt die Kritik. Das Abkommen könne ”den Crashtest nicht bestehen… (obwohl) BEUC wohl ein besseres CETA befürwortet hätte, aber …” Sie Kritik ist mehr als sie scheint. Sie geht an den Kern des Abkommens: „Mit CETA können ausländische Investoren Schadensersatz für öffentliche politische Maßnahmen verlangen eingeschlossen Verbraucherschutz, der die Erwartungen der Investoren beim Investment nachträglich enttäuscht.” BEUC sieht damit den Verbraucherschutz janusköpfig: Schutz der Verbraucher im Markt (Wettbewerb, Informationeller Verbraucherschutz) und Schutz der Verbraucherinteressen auch vor dem Markt (sozialer und nachhaltiger Verbraucherschutz).

Die Bedenken betreffen damit nicht Details sondern das ganze System von CETA und TTIP. Der Markt an sich ist noch kein Verbraucherschutz sondern verschafft nur eine Verbraucherchance. Er ist ein Mittel, die Verbraucher direkt an der Entscheidung über das „gute Leben”, nach Aristoteles das Ziel aller Wirtschaft, zu beteiligen. Dass er das nicht gleich und nicht immer gut macht, darüber spricht das Gesetz Bände. Recht ist daher untrennbarer Rahmen für Markt und Wettbewerb (embedded competition). Diese Erkenntnis ist in den nationalen Rechtsordnungen gewachsen.

Bei der EU-Gesetzgebung ist sie nicht angekommen. Immerhin hat diese mit dem Prinzip der Mindestharmonisierung (Nationalstaaten dürfen mehr Schutz anbieten) sowie den Tausenden von Ausnahmen und Optionen für Mitgliedsländer dieses Defizit anerkannt. Solange sie es selber aber nicht anpackt, wird Europa keine soziale Option sondern nur eine Bedrohung sein. TTIP und CETA verschärfen dies noch, weil die Kommission sich in Zukunft auf die USA und Canada berufen kann. Es ist daher nicht beruhigend, dass statt eines Konsortiums aus Vertretern der Rechtssysteme der Nationalstaaten (z.B. Ministerrat) die EU-Kommission (ursprünglich sogar mit dem Anspruch, die nationalen Parlamente nicht zu befassen) verhandelte. Ihr fehlt auch die inhaltliche Kompetenz.

Verbraucherschutz: ein Schlüssel zur Beurteilung der Abkommen

Die Vertragsschließenden müssten Wirtschaft als eine doppelte Veranstaltung begreifen: effiziente und breite Akkumulation von Kapital in Wettbewerbsprozessen, dichte Regulierung der erwünschten kollektiven Wirkungen für marktferne Ziele wie Frieden, soziale Gerechtigkeit, Schutz des Schwächeren und der Bedingungen einer nachhaltigen Umweltpolitik.

Wirtschaft ist eine sozialökonomische Veranstaltung. Niemand anders als die Verbraucher, die als einzige Interessengruppe prinzipiell alle Bürger einer Gesellschaft umfassen, können das bestätigen. Ökonomisch soll der Stärkere gewinnen, sozial ist das verheerend, ökonomisch müssen Marktteilnehmer durch Konkurs verschwinden, sozial ist dies falsch und undurchführbar. Wer kosten auf andere überwälzen kann ist erfolgreich stellt aber eine Belastung für die Gemeinschaft dar. Die Finanzkrise hat die Probleme mehr als deutlich gemacht. In den Abkommen ist sie nicht aufgearbeitet.

Aber sollen die Abkommen nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen von Händlern regeln? Wir meinen nein. Die Regelungen reichen weit in das politische System des teilnehmenden Landes hinein.

Freihandelsabkommen oder politische Regulierung?

Um einen politischen Zugang zu den Abkommen zu erhalten lohnt es sich nicht, danach zu fragen, ob die spezifischen Probleme, die man bearbeitet, durch die Abkommen berührt sind. Bei mehr als anderthalbtausend Seiten ist alles irgendwie geregelt. Interessanter ist die Frage, welche Struktur die Regelungen haben. Dabei kennen Juristen das System der Hierarchie. Die wichtigsten Regeln sind die Allgemeinen Regeln. Darin finden sich die Prinzipien. Es das Licht, der Geist, in dem die Regeln angewandt werden. Deshalb steht das Grundgesetz über den Gesetzen und sind Grundrechte in Art. 1-20 dem Rest vorangestellt. Auch das BGB hat einen Allgemeinen Teil, der die Grundprinzipien festhält und wir beklagen heute, dass 1900 Arbeitsrecht, Schuldnerschutz und Wohnungsmiete darin nicht vorkamen. Doch damals herrschte noch das Drei-Klassen-Wahlrecht und die Monarchie. Heute sollte das anders sein.

Auch die Abkommen sind so aufgebaut. Sie heißten aber leider nicht zu Unrecht Freihandelsabkommen und sind in Struktur und Inhalt dem Welthandelsabkommen (WTO) sowie dem ehemaligen GATT-Abkommen angepasst. Die Marktfreiheit steht in neo-liberaler Tradition am Anfang. Das gilt auch für den EU-Vertrag nur enthält dieser auch noch politische Prinzipen für Staat und Gesellschaft wie z.B. den Verbraucherschutz. Das CETA-Abkommen hat das Primat der Politik über den Markt in eine rettende Klausel verbannt, auf die man legitimatorisch verweisen kann, die jedoch nichts darüber sagt, wie sie angesichts der entgegengesetzten Strukturen seiner Anwendung wirksam gemacht werden soll. Es bleibt eine deklaratorische Ausnahme.

    Für die Zwecke dieses Kapitels bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet regelnd tätig zu werden.

    Zur Klarstellung: Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar.

 Die Grundsätze

1. Was für Deine Investoren zu Hause gilt musst du auch deinem Vertragspartner erlauben (auch wenn dessen Investoren nicht Deiner Regierung, Aufsicht oder deinen Gerichten unterliegen).

Art. 8.4 Marktzugang

 [nach Anzahl, Volumen, Geschäftsvorgänge, Monople] i) – iii)

    Es wird klargestellt, dass Folgendes mit Absatz 1 vereinbar ist: ….

    Jede Vertragspartei gewährt einem Investor der anderen Vertragspartei und einer erfassten Investition eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie ihren eigenen Investoren …

2.  Das Vermögen, das Du investiert hast, ist unantastbar. Einschließlich seiner Vermehrung in dem Gastland kannst Du es direkt oder als Schadensersatz auch dann verlangen, wenn ein Staat dies politisch anders beschlossen hat.

Kapitel 13: Finanzdienstleistungen:     Artikel 8.6 (Inländerbehandlung) wird als Bestandteil in dieses Kapitel übernommen und gilt für die Behandlung von Finanzinstituten und in Finanzinstitute investierenden Investoren der anderen Vertragspartei und deren Investitionen in Finanzinstitute.

    Unter der Behandlung, die eine Vertragspartei ihren eigenen Investoren und den Investitionen ihrer eigenen Investoren nach Artikel 8.6 (Inländerbehandlung) Absätze 1 und 2 gewährt, ist im Rahmen dieses Kapitels die Behandlung zu verstehen, die sie ihren eigenen Finanzinstituten und den Investitionen ihrer eigenen Investoren in Finanzinstitute gewährt [sowie „die sie Finanzinstituten eines Drittlands und in Finanzinstitute getätigten Investitionen von Investoren eines Drittlands gewährt.”     Das nach diesem Abschnitt errichtete Gericht entscheidet im Falle von Klagen, die nach Artikel 8.23 eingereicht werden. 2.    Bei Inkrafttreten dieses Abkommens ernennt der Gemischte CETA-Ausschuss fünfzehn Gerichtsmitglieder. Fünf Mitglieder des Gerichts müssen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sein, fünf Mitglieder Staatsangehörige Kanadas 11 und fünf Mitglieder Staatsangehörige von Drittstaaten. [kein Richterwahlverfahren, eher Staatsanwaltsmodell] … 7. Innerhalb von 90 Tagen nach Einreichung einer Klage nach Artikel 8.23 ernennt der Präsident des Gerichts die Mitglieder des Gerichts, die der mit dem Fall zu befassenden Kammer angehören werden; dabei wird ein Rotationsverfahren zugrunde gelegt und sichergestellt, dass die Zusammensetzung der Kammern nach dem Zufallsprinzip erfolgt und nicht vorhersehbar ist und dass für alle Mitglieder des Gerichts dieselbe Wahrscheinlichkeit besteht, in eine Kammer berufen zu werden.

  Berufung:  3. Die Mitglieder des Berufungsgerichts werden im Wege eines Beschlusses des Gemischten CETA-Ausschusses ernannt, der gleichzeitig mit dem Beschluss nach Absatz 7 ergeht.  

  Das CETA Komitee [administrativ eingesetzt] 1.    Die Vertragsparteien setzen den Gemischten CETA-Ausschuss ein, der sich aus Vertretern der Europäischen Union und Vertretern Kanadas zusammensetzt. Der Vorsitz im Gemischten CETA-Ausschuss wird gemeinsam vom kanadischen Minister for International Trade und von dem für Handel zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission oder ihren jeweiligen Vertretern geführt.

      Die Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses sind für die Vertragsparteien – vorbehaltlich der Erfüllung etwaiger interner Anforderungen und des Abschlusses etwaiger interner Verfahren – bindend und von ihnen umzusetzen. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann auch geeignete Empfehlungen aussprechen.

Welche Prinzipien fehlen?

Das Abkommen enthält weder Menschenrechte noch Grundrechte außer derjenigen der Eigentums- und Gewerbefreiheit. Es erklärt den Wirtschaftsbürger zum Staatsbürger, den Verbraucher zum Unternehmer in eigener Sache. Zwar werden die Menschenrechte im Anhang 8E erwähnt aber nur bei den Ausnahmen von der Handelsfreiheit.

Es fehlen sämtliche Prinzipien der Demokratie mit Gewaltenteilung, Wahlen, Minderheitenschutz, etc. Es gibt bei der Definition der Richter Programmsätze, dass sie unabhängig sein sollen. Doch wie das Gewährleistet wird ist teilweise peinlich. Man soll sich bei der Berufung beschweren dürfen.

Beispiel 1: Schuldnerschutz

Wie werden die Abkommen wirken. Wir beobachten seit Jahren, dass die zivilrechtlichen Regeln über den Schuldnerschutz allmählich ausgehebelt werden. Motor der Entwicklung waren englische und US-amerikanische Banken. Die sorgfältigen Verzugsregeln wurden durch Kettenumschuldung und extrem hohe unsichtbare Provisionen bei Kreditversicherungen umgangen. Die hohen Gewinne gaben den Anbietern Recht. Zudem waren sie auch noch in Deutschland ansässig. Nur die Systeme wurden im Ausland verwaltet. Vor der Tür aber warten auch die Non-Banks, die Kleinstkredite mit Wucher vergeben und darin ein eigenes Produkt und eigene Anbieter sehen, die man nicht diskriminieren darf. Ist ein Wucherprodukt oder ein Wucherer nur ein ausländisches Produkt bzw. ein ausländischer Anbieter oder sind sie Teil eines rechtswidrigen Verhaltens?

 gerecht und billig sind, nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sind und keine unzumutbaren Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen. Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass die Errichtung von Schranken für den Missbrauch getroffen werden.

Das ist keine Ausnahme. Umso unklarer das Recht, desto stärker die Machtentfaltung im Recht.

Beispiel 2: Investitionsschutz gegen Russland – Der Fall Chordokowsky

Es geht nicht um peanuts, wie das folgende Beispiel aus Reifner, Das Geld Bd. II, Soziologie des Geldes, FN 37-41, Springer: September 2016 zeigt. Unbedeutende Schiedsgerichte können ganze Staaten paralysieren. Über Griechenland und die Troika, deren Verhalten das Europaparlament für unannehmbar hielt, ist viel geschrieben worden. In Zukunft könnte eine solche Troika ganz anders personell besetzt sein. 

„2014 entschied das ständige niederländische Schiedsgericht, dass Russland fast ein Drittel seiner internationalen Barreserve von 175 Mrd. Dollar in Höhe von 51,6 Mrd. Dollar als Schadensersatz wegen Verletzung der Eigentumsrechte u. a. an den in der Schweiz lebenden russischen Milliardär Mikhail Chodorkovsky zu zahlen.                       

Chodorkovsky wurde 2003 in Russland wegen Steuerhinterziehung und Betrug verurteilt. Der europäische Gerichtshof hat in seiner Yukos-Entscheidung vom 20. 9. 2011 (08/03/2012) seine Zuständigkeit zur Beurteilung dieser innerrussischen Vorgänge bejaht (gegen die Stimmen von drei Richtern aus slawischen Staaten). Dazu gab es folgenden Hintergrund. 2004 wurde Chodorkovsky in den USA zur »Person des Jahres« erklärt. Er wurde als Opfer dargestellt. (so auch in en.wikipedia.org) Dabei hätte die Frage, wie man seit 1990 ein solches Vermögen aufbaut, das vormals dem Staat gehörte, durchaus von Interesse sein müssen. Die Methode war auch nicht unbekannt. Im Namen von Geldfreiheit und Demokratie hatten die Amerikaner mit ihren Beratern nach 1990 vor allem die Regierung Jelzin (1991 – 1999) auf ihren Kurs der Privatisierung festgelegt. (vgl. Kornai 1990 – The road to a free; Logue, Plekhanov et al. 1995 – Transforming Russian enterprises; Murrell 1995 – The transition according to Cambridge). Das System ist als Coupon-Privatisierung bekannt geworden. Mit ihm wurden auch die Staatskonzerne Yukos und Rosneft in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die Anteilsscheine wurden demokratisch »dem Volk« gratis zugeteilt. Das »Volk« aber brauchte Bargeld und keine Coupons. Deshalb konnten die Anteilsscheine »dem Volk« leicht abgekauft werden. (Das war auch bei den Vorläufern wie der 100 DM VW-Volksaktie mit gleichem Zeichnungsrecht von 1961 in Deutschland ähnlich, wo 2015 neben dem Staat die Familien Piëch und Porsche die Mehrheit und die Gewinne von 2200 % besaßen. (vgl. Handelsblatt v. 7. 4. 2011). Auch das »Volk« in Deutschland brauchte Geld und nicht Aktien zum Leben.) Die russischen Coupons wurden zum weit unter Wert liegenden Ausgabekurs von denjenigen erworben, die über Liquidität verfügten. Diese Liquidität aber verschafften ihnen Kredite der Staatsbanken, weil niemand in Russland privates Barvermögen in dieser Dimension hatte aufhäufen können. Der Zugang zum Kredit entschied, wem die Wirtschaft gehören sollte. Im Hintergrund gab es große Hoffnung im Westen. Die Kreditvergabe war dann ein Sumpf der Korruption. Die Sieger waren letztlich vom amerikanischen Kapitalismus angeleitete Raubritter. Da durch die Liberalisierung der Rubel sich abwertete, wurde die Kreditrückzahlung zu einer Frage der Portokasse aus dem Verkauf relativ weniger Aktien. Der Oligarch entstand aus der Coupon-Privatisierung. Die Hintergründe sind 1999 schon früh dargestellt worden von David Ellermann, damals Assistent von Joseph Stiglitz bei der Weltbank in Ellermann 1999 – Lessons From East Europe’s Voucher mit Nachweis der kritischen Literatur wie Black, Kraakman Reinier et al. 2000 – Russian Privatization and Corporate Governance; Ellermann 1993 – Management and Employee Buy-Outs; Sachs 1999 – Lessons of Transition; Scott 1998 – Seeing like a state; Shleifer, Vishny 1998 – The grabbing hand; Starobin 04.
DE“>07. 2015 – Boris Nikolajewitsch Jelzin und Wikipedia 29. 06. 2015 – Coupon- Privatisierung, anders dagegen Wikipedia 23. 07. 2015 – Michail Borissowitsch Chodorkowski). Dies Ganze wurde politisch unterstützt durch Rechtsbruch in Russland, über den der Westen gerne schwieg. Jelzin löste 1993 das Parlament auf, das sich seinen Privatisierungsformen widersetzte. Er brach damit unter dem Beifall im Westen die Verfassung, die ihm dies Recht nicht gab. Das Parlament enthob ihn seines Amtes und ernannte den Vizepräsidenten  Ruzkoi zum neuen Präsidenten. Jelzin putschte sich darauf mit Hilfe des Militärs wieder zur Macht. (Wikipedia 28. 07. 2015 – Boris Nikolajewitsch Jelzin) Unter Putin wurde gegengesteuert. Allerdings wurde das Vermögen nicht wieder verstaatlicht. Dies wäre völkerrechtlich wohl in Anbetracht der Illegalität des Coupon-Sozialismus und des anschließenden Transfers dringend benötigten russischen Kapitals in den Westen unproblematisch gewesen. (siehe China) Doch Putin optierte im inneren Machtkampf vorsichtig dafür, die Oligarchen gegeneinander auszuspielen. Er übertrug Chodorkovsky’s Macht an Igor Setzschin von Rosnet. Dies mag politisch der einzige Weg gewesen sein. Rechtlich ist er jedoch höchst problematisch, vor allem wenn ihn ausländische Gerichte zu beurteilen haben.

Doch das Urteil in den Niederlanden rechtfertigt dies nicht, weil es eine Karikatur der Menschenrechte vertritt. Das Urteil des Schiedsgerichts, das auch im Lichte des Streites um die Bedeutung eines zukünftigen exklusiven privaten Schiedsgerichts für den Investitionsschutz der Amerikaner in Europa im Rahmen des (für 2016 beabsichtigten) TTIP-Abkommens mit den USA gesehen werden muss, erging am 21. 7. 2014 in den Haag. Die drei Richter urteilten, der russische Staat habe unzulässig politisch in die Eigentumsrechte der Aktionäre eingegriffen. Damit gab sich ein Handelsschiedsgericht durchaus die politische Kompetenz, über russische Innenpolitik zu entscheiden. Dies hatte auch Konsequenzen. Belgien und Frankreich haben danach russische Konten u. a. auch diejenigen der russischen Botschaft gesperrt. Der ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag wurde 1899 zur Friedenssicherung geschaffen. Die Vollstreckbarkeit dieses Urteils beruht auf dem UNCITRAL Abkommen. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dem sich auch Russland unterworfen hat, war in seiner Entscheidung vom 20. 9. 2011 (08/03/2012) noch der Meinung, dass Russland bei dem Steuerstrafverfahren gegen Chodorkovsky nicht aus politischen Gründen dessen Menschenrechte verletzt habe und wies die Klage ab. Er entschied allerdings dann 2014, dass die in der EMRK verankerten Eigentumsrechte der Aktionäre verletzt seien und gab gegen Russland einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 2 Mrd. €.

In seiner Entscheidung vom 14. 7. 2015 stellte das russische Verfassungsgericht auf Antrag von Abgeordneten der russischen DUMA unterstützt vom Verfassungsgericht in St. Petersburg fest, dass Russland zwar wirksam die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) 1996 ratifiziert habe, durch die sie in Russland 1996 zu Recht geworden sei. In Einzelfällen könne Russland aber die Ausführung der Urteile des EGMR verweigern. Dies sei dann gerechtfertigt, »wenn eine solche Abweichung der einzige Weg ist, eine Verletzung grundlegender Prinzipien der Verfassung zu vermeiden«. Diese Auffassung wird inzwischen auch vom Bundesverfassungsgericht geteilt. (vgl. zu internationalen Verträgen generell Beschluss vom 15. 12. 2015 2 BvL 1/12; zum Europäischen Menschenrechtskonvention: »Die Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung jedoch nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität. Ist ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung nicht anders abzuwenden, so widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet.« (BVerfG 14. 10. 2004 2 BvR 1481/04)

Fazit

CETA und TTIP haben einen grundsätzlichen Fehler, weil sie Investition ohne Begrenzung von Art und Volumen ebenso wie Geldgeschäfte als unpolitisch ansehen und allein die Auswirkungen auf den Markt regeln. Der Markt regiert heute auch den Sozialsektor, die Überschuldeten, die Arbeitnehmer und Verbraucher, den Frieden und den Krieg. Er bestimmt über die Höhe der Steuern und der Steuervermeidung. Trotz immer wichtigerer kollektiver Interessen individualisiert der Markt alles. Die Zeit der Freihandelsabkommen ist vorbei. Der richtige Ort sind die Menschenrechtskonventionen und die Vertage zwischen den Staaten, die alle Beziehungen regeln.

Weil dies im Ansatz schon fehlt, ist Verbraucherschutz in seiner marktkompensatorischen Funktion bedroht. Ohne die aber desavouiert sich der Markt als Teil des demokratischen Systems. Europa wird weiter als soziale Bedrohung empfunden werden.