Hamburg führt Bezahlkarte für Bürgergeldbeziehende ein – warum das Grundproblem damit nicht gelöst ist

iff veröffentlicht Stellungnahme zur Gefahr einer Zwei-Klassen-Finanzwelt

Die Stadt Hamburg plant zum Jahreswechsel 2025/2026 die Einführung einer Bezahlkarte für Bürgergeldempfänger:innen ohne eigenes Bankkonto. Hintergrund ist eine kurzfristige Veränderung im Auszahlungssystem: Die Postbank stellt die Einlösung von Barschecks ein, sodass ein administrativer Bedarf entsteht, alternative Auszahlungswege bereitzustellen.

Was zunächst wie eine pragmatische Lösung erscheint, verweist aus Sicht des institut für finanzdienstleistungen e.V. (iff) auf ein deutlich grundlegenderes strukturelles Problem. Die Bezahlkarte soll ein Verwaltungsproblem lösen, berührt jedoch zentrale Fragen finanzieller Inklusion, sozialer Teilhabe und Rechtsdurchsetzung – und sie kann das eigentliche Problem nicht beheben: dass vielen Menschen der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Konto weiterhin verwehrt bleibt.

Strukturelles Problem hinter der Hamburger Lösung: Rechtsanspruch ohne Wirkung

Seit 2016 garantiert die EU-Zahlungskontenrichtlinie jeder Person in der EU ein Recht auf ein Basiskonto. Dieses Recht soll verhindern, dass Menschen vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden – und damit vom Zugang zu Wohnen, Arbeit, digitaler Infrastruktur und sozialer Teilhabe.

In der Praxis zeigt sich jedoch eine deutliche Lücke zwischen Anspruch und Realität. Aus Beratungserfahrungen, Forschung und Rückmeldungen sozialer Einrichtungen ist bekannt, dass insbesondere folgende Gruppen erhebliche Schwierigkeiten bei der Kontoeröffnung haben:

  • Menschen ohne feste Meldeadresse

  • wohnungslose und obdachlose Personen

  • Menschen ohne gültige Identifikationsdokumente

  • Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus

  • Bürgergeldempfänger:innen in prekären Lebenslagen

Obwohl der Rechtsanspruch formal besteht, scheitert die praktische Durchsetzung häufig an fehlenden Dokumenten, restriktiven bankinternen Auslegungen, mangelnder Information oder Überforderung im Verwaltungsprozess.

Die BaFin hat in einer Erhebung vom September 2025 zwar betont, dass das Zahlungskontengesetz „grundsätzlich wirksam“ umgesetzt werde – doch diese positive Gesamtperspektive verdeckt die realen Ausschlussmechanismen, die vor allem Menschen in besonders vulnerablen Lebenslagen betreffen. Viele Betroffene wissen weder, dass sie ein Recht auf ein Konto haben, noch welche Unterlagen erforderlich sind. Zudem können hohe Entgelte bei Basiskonten eine zusätzliche Hürde darstellen.

Die Hamburger Bezahlkarte: Lösung für den Moment – aber keine Integration

Vor diesem Hintergrund ist die neue Bezahlkarte ein Instrument mit begrenzter Reichweite. Sie stellt zwar sicher, dass Leistungszahlungen auch ohne Konto ausgezahlt werden können, ersetzt aber kein Giro- oder Basiskonto. Je nach Ausgestaltung sind Bezahlkarten oftmals funktional eingeschränkt: Sie erlauben häufig keine Überweisungen, bieten keine Daueraufträge oder Lastschriften, sind nur teilweise online nutzbar oder begrenzen Bargeldabhebungen.

Die Erfahrungen mit der Hamburger SocialCard für Geflüchtete zeigen zudem, dass solche Systeme nachträglich mit weiteren Einschränkungen versehen werden können. Auch wenn die geplante Bürgergeld-Bezahlkarte freiwillig sein soll und zunächst ohne Limitierungen auskommt, bleibt unklar, wie stabil diese Ausgestaltung langfristig ist.

Damit besteht das Risiko, dass eine Parallelstruktur entsteht, die dauerhaft nur bestimmten Personengruppen offensteht – mit reduzierter Funktionalität und geringerer finanzieller Teilhabe. Ein solches System läuft Gefahr, eine Zwei-Klassen-Finanzwelt zu etablieren: vollwertige Konten auf der einen Seite, eingeschränkte Bezahlkarten auf der anderen.

Ein bundesweiter Trend: BA plant ähnliche Lösung ab 2026

Hamburg ist kein Einzelfall. Auch die Bundesagentur für Arbeit plant ab Januar 2026 eine Bezahlkarte für kontolose Bürgergeldbeziehende. Beide Lösungen reagieren auf operative Auszahlungsprobleme, adressieren aber nicht das eigentliche strukturelle Problem: den fehlenden Zugang zu regulären Bankkonten.

Damit gerät ein Grundrecht unter Druck. Denn finanzielle Teilhabe ist nicht optional – sie ist Voraussetzung für Wohnen, Arbeit, digitale Dienstleistungen und gesellschaftliche Integration.

Was jetzt notwendig ist

Aus Sicht des iff muss die Bezahlkarte als Übergangslösung verstanden werden, nicht als Ersatz für ein Konto. Entscheidend ist jetzt:

  • Durchsetzung des Rechts auf ein Basiskonto, insbesondere in komplexen Lebenslagen

  • transparente Dokumentation von Ablehnungen und wirksame Aufsicht

  • Mindeststandards für Bezahlkarten, falls sie eingesetzt werden (insbesondere volle Kostenfreiheit und ausreichende Funktionalität)

  • partizipative Entwicklung solcher Instrumente unter Einbezug von Betroffenen, Beratungsstellen und Sozialarbeit

Finanzielle Inklusion ist ein Grundrecht. Wer kein Konto hat, ist vom digitalen und sozialen Leben weitgehend ausgeschlossen. Eine Bezahlkarte kann kurzfristig helfen, aber sie darf kein dauerhaftes Ersatzsystem werden.

Die ausführliche Stellungnahme finden Sie hier: link