Presseerklärung des iff zur seiner Stellungnahme für das Hearing des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 29.11.2006

„Gleicher Zugang zum Girokonto”, Versorgung mit Finanzdienstleistungen und Verhinderung eines Wuchermarktes für Arme

DISKRIMINIERUNG SOZIAL SCHWACHER DURCH DIE FINANZDIENSTLEISTUNGEN

Das iff stellt in seiner Bestandsaufnahme fest, dass das Thema Mindestgirokonto in den Bereich der Wucherprävention, der sozialen Verantwortung der Banken (CSR) und des sozialstaatlichen Auftrags gehöre. Der Staat müsse, wenn er schon selber nicht mehr Armut kompensieren kann und will, der Wirtschaft nachhaltig vermitteln, dass sie in ihrem immer kurzfristigeren Streben nach rationelleren und profitableren Märkten nicht soziale Kosten für Familien, Steuerzahler und das friedliche Zusammenleben produzieren dürfen, deren Ertrag für sie in keinem Verhältnis zu den sozialen Kosten für die Gesellschaft steht. Gerade Banken, die über das Geldsystem und seine Sicherung auf die Solidarität der Gesellschaft und des Staates angewiesen sind, dürfen sich nicht dem Auftrag entziehen, eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit dem notwendigen Gut "Finanzdienstleistungen" zu gewährleisten. Eine entsprechende Erweiterung der Aufgaben im Kreditwesengesetz sei längst überfällig.

EINE MILLIONEN HAUSHALTE OHNE KONTO? WUCHERMARKT FÜR ARME BEI KREDIT UND ZAHLUNGEN?

Das iff weist darauf hin, dass es schon 1995 mit seinem Gutachten dies angemahnt und im Bundestagshearing 1997 vor Untätigkeit gewarnt hat. 12jährige Untätigkeit, falsche Zahlen von Regierung und Anbieterseite über das angeblich gelöste Problem, systematisches Unterlassen einer Problemanalyse sowie der ständige Verweis auf die unkontrollierte Selbstregulierungsfähigkeit der Finanzdienstleister seien Symptom einer politischen Kultur, in der die sozialen Probleme häufig dadurch gelöst werden, dass man sie ignoriert oder aber in den Verantwortungsbereich der Betroffenen selber verweist. Das Institut errechnet aus 1500 Datensätzen Überschuldete eine Quote von 20% kontolosen Überschuldeten, die sich mit weiteren Gruppen auf über eine Millionen betroffene Haushalte hochrechnen lassen.

Es gehe, so die Stellungnahme, nicht mehr nur um Girokonten für Jedermann, sondern um das drohende Gespenst eines wucherischen Ghettomarktes bei Finanzdienstleistungen für sozial Schwächere und Familien in Deutschland, wie er in England, den USA, Irland und der dritten Welt bereits eine fast unumkehrbare REalität darstelle. Der zunehmende Ausschluss dieser Schichten aus dem normalen Bankgeschäft und der Aufbau von wucherischen Sondermärkten in und außerhalb des Bankgeschäftes bedrohe den sozialen Frieden auf Dauer.

DEREGULIERUNG AUS BRÜSSEL UND DISKRIMINIERUNG IN DEUTSCHLAND

Das Zusammenspiel von Deregulierung in Brüssel mit der drohenden Freigabe der Vergabe von Kreditkartenkrediten durch Nichtbanken in der Zahlungsverkehrrichtlinie, dem Abbau von nationalem Verbraucherschutz bei Kleinkrediten und Kreditkartenkrediten im Totalharmonisierungsanspruch der Konsumentenkreditrichtlinie, lasse zusammen mit der Dauerarbeitslosigkeit und der zunehmenden Abhängigkeit aller Schichten von Finanzdienstleistungen in Deutschland, so der Leiter des iff, einen Dammbruch sozialer Solidarität befürchten. Es werde zu einer Abspaltung von nicht nur aktuell 10% sondern tendenziell 1/3 der Gesellschaft und ihr Abdrängen in einen wucherähnlichen Markt kommen, in dem Einkommen und Sozialleistungen in ihrem realen Wert erheblich geschmälert werden. Auf dem Weg der Einkommen zu den Ausgaben für den Konsum, der nur noch über die Finanzdienstleistungen möglich ist, werden sozial selektive unverantwortlich hohe Kosten wie eine von Dritten angezapfte Wasser- oder Stromleitung wirken. Es sei schon heute kaum zu ertragen, dass bei Finanzdienstleistungen gerade mit den unteren Schichten teilweise die größten Gewinne erzielt werden, weil hier kein Markt und häufig keine Alternative mehr bestehe.

WISSEN, VERANTWORTUNG, TRANSPARENZ: DIE VORSCHLÄGE DES IFF

Das iff fordert ein Bündel von Massnahmen zur Bekämpfung dieser sozialen Diskriminierung und zum Erhalt des weltweit bisher vorbildlichen deutschen Systems von flächendeckenden erschwinglichen Girokonten mit Überziehungsmöglichkeiten auch für untere Schichten.

Es schlägt u.a. vor, eine ´Begründungspflicht für die Ablehung bzw. Kündigung von Girokonten einzuführen, eine Berichtspflicht über die Anstrengungen der Finanzdienstleister zu sozial nicht diskrimierender Kontovergabe an die Aufsicht zu verankern, im Gleichbehandlungsgesetz den Tatbestand der Verbraucherverschuldung als weiteren Bereich aufzuführen, das Ziel der gleichmäßigen Versorgung mit Finanzdienstleistungen im Aufsichtsrecht zu verankern und objektive und problemorientierte wissenschaftliche Forschung zu ermöglichen.

Die Stellungnahme ist angefügt.