DER ANDERE ARMUTS- UND REICHTUMSBERICHT

Eine Kette ist bekanntlich so stark wie ihr schwächstes Glied. Unsere Gesellschaft wird im um Asien und Südamerika erweiterten Konkurrenzkampf des Wohlstandes der Nationen nur bestehen können, wenn unsere Gesellschaft wie eine solche Kette funktioniert. Damit ist es in Deutschland nicht gut bestellt. Bis zu 20% (Berlin) Kinder leben in Armut, ohne Bildungs- und Wohlstandschancen. Mit der Degradierung vieler Arbeitlosen zu Hartz IV Empfängern und der endgültigen Abkoppelung der Sozialhilfeempfänger als unbrauchbar hat die Agenda 2010 eine Trennlinie in der Gesellschaft gezogen. Die OECD beklagt unsere diskriminierende Bildungspolitik, wo ein Hessisches Verwaltungsgericht jetzt auch bemerkt, dass Studiengebühren für alle gleichgültig mit welchen Verdienst- und Berufschancen sie studieren eben nicht nach der Verfassung gleich sind. Die Verdienste klaffen immer weiter auseinander. Bei 3 € die Stunde sind wir im Frisörhandwerk angekommen, bei 8 Mio € pro Jahr im Bankmanagement. Die Bundesländer klaffen auseinander nach Arbeit, Verdienst und Vermögen. Das milliardenschwere Forschungsexellenzprogramm geht an die Universitäten im Süden, die Sozialhilfe im Osten wird gekürzt. Selbst die Fussballbundesliga ist zu einem Unternehmen reich gegen arm geworden, wo Rekordmeister Bayern München schon einmal unter der Hand Millionen zusätzlich bei den Fernsehrechten bekam. Während es unseren immer schwerfälligeren Großunternehmen gelingt, trotz Missmanagement wie etwa im Bankengewerbe der 90ger Jahre mit Kartellmacht ihre Gewinne zu halten oder sogar zu steigern, hält sich die Rate derjenigen, die in Existenzgründungen und Kleinunternehmen Ideen, Vermögen und Gesundheit investiert und dann aufgeben müssen ohne zweite Chance bei 50%. Dass die Riesterrente bei den unteren 40% der Bevölkerung nicht angekommen ist, denen man am spürbarsten die Rente kürzt, regt niemanden mehr auf, bis die ersten Alten auf der Straße kampieren werden.
Der Weg nach unten ist politisch geglättet, geebnet und hoffähig gemacht, der nach oben verkrustet, verstellt und verbaut. Politische Zukunftskonzeptionen wie die Agenda 2010 der Rheinischen Macher messen den Wohlstand am Gesamtwert der Kette, der eben steigt, wenn die Armut da unten nur denen da oben nur so überproportional genutzt hat, dass die Zunahme im Reichtum der einen die Abnahme bei den anderen mehr als wett macht, wenn z.B. erhöhte Arbeitslosigkeit Flexibilität und Effizienz steigert, die Krankmeldungen reduziert, Armut und Kriminalität die Sicherheitskosten auf den Staat übertragen lässt. Ob sie wirklich mehr Wert ist, ist mehr als fraglich. Schließlich messen wir ihn allein im Geldwert des heutigen Vermögens und nicht im Barwert der Zukunft, weshalb Spekulationen, die aus reiner Luft Reichtum machen, unsere Zahlen verdrehen.

Über alles dies wird im nächsten Reichtums- und Armutsbericht der Bundesregierung nichts stehen. Es wird wieder ein Bericht über die Armut der Regierenden an Einsicht und Voraussicht werden.

DIE KREDITGESELLSCHAFT ALS URHEBER – EINE TAGESAUSGABE EINER ZEITUNG REICHT

Was hat uns nach Jahren relativen allgemeinen Wohlstandes in diese Schere oder Entwicklung von zwei Geschwindigkeiten gebracht? Es ist ein Gesetz des Kredites, dass er in seiner ungezähmten marktwirtschaftlichen Form Armut bestraft. Die Gleichung ist einfach: aktuelle Liquidität ist alles, Arbeits- , Ideen- , Sozial- aber Sachvermögen sind nichts.
Wir können dies an einem einzigen Tage in einer Zeitung wie der Süddeutschen v. 11.10.2007 verfolgen.

BARGELD SCHAFFT REICHTUM

„Wer legt am Ende Bargeld auf den Tisch für die Übertragungsrechte? Denn genau auf dieses Bargeld sind die Bundesliga-Klubs angewiesen?” zum Coup des wieder auferstandenen Pleitiers Leo Kirch bei den Übertragungsrechten. (S.2) Bei einer Geiselbefreiung „wurden Millionen Dollar gezahlt” in bar. (S.1). „EU droht Rumänien mit Subventionskürzungen.” (S.8) und trifft die Liquidität. Zur 500 € Bargeldabschöpfung bei Studierenden: „Die Richter verwiesen darauf, dass die hessische Verfassung die Erhebung von ‚Schulgeld’ nur erlaubt, wenn der Schüler oder Student beziehungsweise seine Eltern wirtschaftlich dazu auch in der Lage sind.” (S.8)

BARGELD ERHÄLT MAN DURCH KREDIT

Bargeld hat man aber heutzutage nicht mehr. Man erhält es über den Kredit. So heißt es zu den Heuschreckenfonds: „Sie waren es gewohnt, bei ihren Geschäften bis zu 95 Prozent Fremdkapital einzusetzen…” (S.23) Die Royal Bank of Scotland konnte Barclay im Milliardendeal um ABN-AMRO ausstechen, weil Barclay nur Aktien, RBS aber Bargeld anbot. Bei der Privatisierung der Bahn „dürften 25 bis 30 Prozent platziert werden, die drei bis sechs Milliarden Euro (Umwandlung von Sacheigentum in Bargeld d.Verf.) einbringen und der Bahn einen Platz im Dax sichern.” (S.19)
Kredite bekommen vor allem die, die ein geringes kalkulatorisches (nicht „wirkliches” das kann keiner messen) Risiko darstellen, große Mengen abnehmen und hohe Erträge und Zinsen versprechen. Vor allem der Finanzsektor selber hält sich damit liquide, auch wenn Geld nur in Geld investiert wird und durch Kreisverkäufe wie beim Verkauf notleidender Kredite der Ertrag den eigentlichen Reichtum der Gesellschaft und seiner Menschen, nur schmälert, weil es sozial nur zerstört: „Viele Experten rechnen mit einer Abflachung des Immobilienpreisbooms in den nächsten Monaten. Dies hätte einen Rückgang des privaten Konsums zur Folge. Die Wirtschaft wächst in Großbritannien im kommenden Jahr deshalb voraussichtlich langsamer als erwartet.” (S.20) Verkehrte Welt: der eigentliche Konsum nimmt natürlich ab, wenn die Preise steigen, weil man für dasselbe Geld weniger bekommt. Die Zeitung meint nur die Nachfrage. Im Maßstab für das Wachstum der Wirtschaft erscheint damit in einem Finanzland wie Großbritannien die Verarmung als Reichtum.
„Doch die Krise um die Hypothekenbank Northern Rock hat deutlich gemacht, dass die Briten künftig mit Immobilienkäufen vorsichtiger sein werden.” (S.20) zu deutsch: Die ärmeren Schichten bekommen keine Kredite mehr und verarmen weiter.

KREDIT ERHALTEN NICHT ALLE GLEICH

Die Chefin der KfW, von Forbes als einzige Deutsche zu einer der fünfzig mächtigsten Frauen der Wirtschaftswelt gerechnet, teilt mit „’Der Mittelstand darf aufatmen. Eine allgemeine Kreditklemme erwarten wir nicht’ … Mittelfristig könne es allerdings zu einer Neueinschätzung der Risiken durch die Banken kommen – Folge wären höhere Zinsaufschläge für schwache Kreditnehmer und strengere Kreditstandards.” (S.17) Gemessen wird das Gesamtgewicht der ‚Kette’ „Mittelstand”, die kapitalintensive Unternehmen mit 500 Beschäftigten aber auch den Arbeitsunternehmer im Handwerk in einen Topf wirft. Zu den 90% kleinen Kettengliedern dagegen der Präsident des Handwerks: „Von einer grundsätzlichen Verbesserung der Kreditbedingungen könne trotz der verbesserten Werte gerade für die kleinen Firmen keine Rede sein, erklärte Hans-Eberhard Schleyer. Schließlich beklage die Hälfte von ihnen, dass sie von den Banken überhaupt keinen Kredit bekommen würden. … „ (S.20) Aber auch Matthäus-Mayer „warnte vor einer Überbewertung der Umfrageergebnisse. Sie dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass die kleinen Mittelständler auf Grund ihrer Eigenkapitalschwäche weiterhin die mit Abstand größten Finanzierungsprobleme hätten.” (S.20)

IM KREDIT ZAHLEN DIE ARMEN MEHR

Die Konditionen werden immer ungleicher. In England bekommen die Armen für 200% Zinsen das Kleingeld. In Deutschland steigen die Überziehungsprovisionen auf den Girokonten, die Gebühren bei Notlagen. Die Zinsen für Kreditkartenkredite verlassen die Basis. Mit wucherischen Restschuldversicherungsprämien, die fast nur aus Provisionen bestehen, erreichen die Ratenkreditzinssätze inzwischen 30% für die, die das Bargeld brauchen. Im Hypothekenkreditmarkt werden mit abenteuerlichen Bausparsofortfinanzierungskonstruktionen die Armen belastet. Überschuldung, Arbeitslosigkeit (bzw. Unterbezahlung) und Obdachlosigkeit (bzw. unzureichender Wohnraum) sind die Folgen einer solchen Kreditgesellschaft, die diejenigen bestraft, von denen sie annimmt (!), dass sie schlecht investieren und rückzahlen werden, ohne dass dies für über 90% der so bestraften überhaupt stimmt. In Zukunft wird über die EU auch noch der graue Kreditmarkt geöffnet, der Kleinkredit und die Aufsicht dereguliert.

WAS TUN?

Wir brauchen eine sozial verantwortliche Kreditgesellschaft. Die fängt mit einer sozial verantwortlichen Kreditvergabe und –abwicklung an. Jeder Kreditgeber muss verpflichtet werden, für seinen Kunden wie jetzt schon im Verzug ganz allgemein drei Konten zu führen, eine mit dem Geld, dass der Kunde erhalten hat, ein zweites Konto mit den Zinsen und ein drittes mit Zinseszinsen, Gebühren und Aufpreisen. Dann sieht man, wie bei Armen im Kredit immer weniger Bargeld wirklich zufließt. Außerdem müssen die Kreditzwecke statistisch festgehalten werden: wie viel Umschuldung, wie viel finanzierte Versicherungsprämien, wie viel Heuschrecken- und Finanzinvestition.
Und am Ende werden wir endlich darüber diskutieren können, inwieweit unsere Finanzdienstleister die Kredite zu den Konditionen mit der breiten Risikostreuung zur Verfügung stellen, die wir so notwendig für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt, für Zukunft der Kinder und der Ausbildung brauchen. Hier ist technischer Sachverstand mit sozialem Engagement gefragt und Journalisten, die auch wissen, worüber sie schreiben.