Über eine Milliarde Euro Bestechungsgelder durch Siemens, 30 Mrd. € nicht gerechtfertigter Kredite durch die Berliner Bankgesellschaft, Milliardenkredite der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, Millionen Euro sog. Abfindungen für Unterstützung etwa bei Unternehmenskäufen durch das Management – das Unbehagen wächst, ob das größte Land der EU nicht doch eine Bananenrepublik ist.

Wir empfinden Vieles davon in Deutschland als Korruption. Gleichwohl werden die dafür Verantwortlichen zu Beratern von Regierungen, Gerichten und Politikern erwählt, denen man nach geltendem Recht „nichts vorzuwerfen” hat. Ist es also doch nicht „korrupt”. Findet Geldwäsche nur dort statt, wo der Spielhöllenbesitzer 10.000 € Schwarzgeld über den Banktresen wandern lässt? Wir müssen wohl den Begriff der Korruption neu erfinden, um die gewaltige Verantwortung, die der Bankensektor als Mittler all dieser Prozesse hat, begreifen und zugleich seine Potenziale nutzen zu können.

PRIVATE KORRUPTION – EIN NEUES KONZEPT

Unter Korruption wird der „Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Vorteil” (Transparency International) oder aber strafrechtlich i.S. der §§ 331 ff Strafgesetzbuch „Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung” verstanden. Im politischen Sinn soll Korruption „die Verletzung eines allgemeinen Interesses zu Gunsten eines speziellen Vorteils” (Harold Dwight Lasswell) bedeuten. (siehe Wikipedia)

Danach können offensichtlich nur der Staat und seine Diener oder diejenigen „korrupt” sein, die öffentliche Interessen zu vertreten haben. Das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen öffentlichem Wohl und privatem Profitinteresse hat zu einem solch beschränkten Korruptionsbegriff im Recht geführt, bei dem die Vorwürfe an den Privatsektor immer nur dann laut werden, wenn er versucht, seine privatnützigen Strategien auf den Staat auszuweiten und sich sozusagen einen Teil der Staatsmacht oder des öffentlichen Wohls zu „erkaufen”. Recht und Staat sollten also nicht käuflich sein, alles andere dagegen durchaus.
Auf diese Weise meinten die Begründer der modernen Demokratie, dass man beides haben könne, die treibende Kraft des Egoismus und der Bereicherung einerseits zusammen mit der Erhaltung von Gemeinschaft und Gesellschaft im öffentlichen Wohl.

In einer Zeit, wo der Sozialstaat privatisiert wird, private Sicherheitsdienste einen Krieg im Irak führen dürfen, Bundesbahn, Bundespost und Straßenverkehr dem Streben nach privatem Gewinn anvertraut werden, scheint Korruption immer weniger möglich. Das öffentliche Interesse hat sich auf die Insel der Gesetzgebung zurückgezogen und die einzigen, die wir vor Gewinnsucht zu schützen haben, scheinen die Abgeordneten zu sein.

Andererseits spüren wir immer deutlicher das, was Hegel, Kant und Rousseau der bürgerlichen Gesellschaft auftrugen: der Staat definiert nicht das Allgemeinwohl sondern das Allgemeinwohl bestimmt denjenigen Teil des Staates, der demokratisch legitim handelt. Insofern besteht das Allgemeinwohl auch innerhalb privater Wirtschaft. Hegel hat jedem Menschen ein „allgemeines Interesse” zugeordnet, das er vernünftigerweise verfolgen wird, wenn nur gut nachdenkt. Daher haben wir in der Wirtschaft und im Wirtschaftsrecht auch so etwas wie eine „Wirtschaftsethik”, eine „moralische Dimension” oder „gute Sitten”, die dieses Allgemeininteresse ausweisen, wonach nicht alles zulässig ist, was der Staat nicht verbietet.

Wenn es somit auch innerhalb des Marktes Regeln gibt, die nicht dem Gewinnprinzip sondern dem Gemeinwohlprinzip gehorchen, dann können auch Private untereinander korrupt sein, wenn sie ihre wirtschaftliche oder finanzielle Macht dazu benutzen, andere davon abzubringen diese Grenzen des Wirtschaftens deshalb zu verletzen, weil sie daraus für sich einen unmittelbaren nicht durch den Markt selber bestimmten Nutzen erwarten.

PRIVATE KORRUPTION IN DEUTSCHLAND

Doch die öffentliche Meinung hat hier ein anderes Gefühl. Schon die 1000 Goldmark, die der Stinneskonzern 1923 an Adolf Hitlers „Bewegung” überwies ebenso aber auch wie die Millionen die gerade erst der Siemenskonzern sog. unabhängigen („gelben”) Gewerkschaften zahlte, die schwarzen Kassen der hessischen CDU in der Schweiz und auch die Millionen an Herrn Esser, der erst die Übernahme von Mannesmann durch Vodaphone heftig ablehnte, sie dann aber begrüßte, werden instinktiv als korrupt empfunden. Ähnliche Vorbehalte hat man, wenn Politiker wie Gerhard Schröder oder der grüne Staatssekretär im Verbraucherministerium wenige Augenblicke nach der politischen Entmachtung als Lobbyisten der Industrie auftreten oder Bundesrichter schon vor dem Ausscheiden bekannt geben, dass sie anschließend gedenken, ihre Dienste etwa dem Finanzsektor zu gewähren.

Überall fließt schwarzes Geld, um Aufträge zu erhalten, Steuern zu sparen oder trotz Überschuldung liquide zu bleiben – im Hamburger Hafen die verschlossenen Briefumschläge, beim Notar die „persönlichen Unterredungen” der Parteien vor der Unterzeichnung im Nebenraum, die irrsinnigen Provisionen an die Strukturvertriebe im Anlage- oder Versicherungsbereich, die „Proben” der Pharmaindustrie für die Ärzte oder deren Kongresse am Roten Meer, die privaten Dienstleistungen und Lieferungen, die als Betriebskosten deklariert die Gehälter steuerfrei aufbessern. Dazu gehören auch die Bordellbesuche von Betriebsrat und Geschäftsleitung im VW-Konzern, die Chauffeure und Handgelder für verdiente Betriebsräte in der Chemieindustrie oder die Repräsentationsvilla für den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden beim Energiekonzern.
Unser Rechtssystem hält dies alles nicht für korrupt. Vielmehr werkelt es mit zwei Instrumenten herum, die eher lächerlich wirken: der angeblichen Veruntreuung von Vermögen der Unternehmen, die man mit seiner Korruption eigentlich nur gefördert hat, oder aber mit der Steuerhinterziehung, wo doch die meisten Korrupten allzu gerne ihre Steuern hierfür bezahlt hätten, weil es überwiegend doch nicht darum geht, den Staat an den Kosten der Korruption zu beteiligen sondern ihn möglichst draußen zu halten. Steuerhinterziehung erfolgt doch nur, um Öffentlichkeit zu vermeiden, weil die private Korruption sich gegen die Gesellschaft und nicht gegen den Staat richtet.

Aber wie könnte man diese private Korruption, dieses richtige Gefühl, dass einzelne das Allgemeininteresse, ohne dass auch eine rein private Gesellschaft nicht überlebensfähig ist, so schmählich verletzen, fassen? Wenn das Recht nur die Umwege kennt und Steuerhinterziehung sowie fiktive Schädigung der Begünstigten heranzieht, dann bleibt die Definition und damit auch die Stigmatisierung von privater Korruption beliebig und derjenige, der sie behauptet, wird sogar noch der Rechtsverfolgung wegen Verleumdung ausgesetzt.

WER LEGT FEST WAS KORRUPT IST?

Für eine Eingrenzung sollten wir nicht davon Abstand nehmen, dass Korruption eine typische Erscheinungsform der kapitalistischen Gesellschaft ist, die die Privatnützigkeit und das Allgemeinwohl miteinander verbindet und versöhnen muss, damit die Arbeit produktiver, ertragreicher und erfindungsreicher wird, gleichzeitig aber die gemeinschaftliche Grundlage dieser Arbeit nicht verloren geht und das Ganze in Anarchie versinkt.
Also müssen wir aufspüren, wo von Privaten auch innerhalb ihrer gewinnorientierten Tätigkeit die Wahrung allgemeiner Interessen verlangt wird. Etzioni hat dies die „moralische Dimension von Wirtschaft” genannt und gezeigt, dass ohne sie das Gewinnsystem überhaupt nicht funktionieren könnte. Diese moralische Dimension wie sie in den Prinzipien etwa des Umweltschutzes, der Anti-Diskriminierung, der corporate social responsibility, der Ethik im Anlagegeschäft oder der Verantwortung gegenüber Region, Stadtteil und Bevölkerung (Community Development/Reinvestment/Responsibility) deutlich wird, wird nie von den Unternehmen selber definiert. Sie erhalten diese Dimensionen vom Markt zurückgemeldet, wo es Akteure gibt, die speziell solche Interessen repräsentieren und artikulieren. Hierzu gehören vor allem die Presse, Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Umweltgruppen, Kirchen, politische Parteien, die Wissenschaft, eine unabhängige Rechtsprechung und viele andere Instanzen vom Mieterbeirat über eine Bürgerinitiative bis hin zu Einzelpersönlichkeiten, die mit ihrem Blog auf dem Internet auf Missstände aufmerksam machen. Dazu gehören aber auch Manager, denen gegenüber den Kapitalgebern im Aufsichtsrat gerade deshalb Freiheit und Unabhängigkeit eingeräumt wurde, damit sie die komplexen Interessen „des Unternehmens” und seiner shareholder gegenüber dem singulären Interesse der shareholder verteidigen können und damit ein Teil der allgemeinen Grundlage unserer Wirtschaftssystem zu schützen haben.

Es liegt auf der Hand, dass wenn diese Gruppen und Personen, die das öffentliche Interesse innerhalb privater Beziehungen artikulieren und definieren, in den Sog privater Profitgier geraten oder für ihre Meinung privatnützig bezahlt werden, das Allgemeininteresse keine Chance mehr hat.

Genau hier sind aber auch die meisten Fälle angesiedelt, die man gefühlsmäßig als Korruption begreift. Herr Esser verkauft Herrn Ackermann seine Managementethik, Herr Schelsky verkauft die Vertretung der Arbeitnehmer an den Siemenskonzern ebenso wie Gebauer dies bei VW für Herrn Volkert organisierte oder wie es in den anderen Branchen vorkommt. In der Verbraucherszene oder bei Richtern werden Vorträge gehalten, wertlose Publikationen fürstlich entlohnt. Sitzungsgelder für unsinnige Beiräte oder Geldpreise verliehen für Dinge, die man ohnehin tun würde. Oft ergibt sich der private Einkauf der öffentlichen Funktion des Gegenübers durch sowie in Industrie und Wirtschaft auch allein aus der persönlichen Beziehung. Freundschaften mit Industriekapitänen kann man nicht in der Kneipe nebenan sondern wie bei Herrn Sarkozy nur auf der streng bewachten Luxusyacht vor Malta leben und als Aussätzige sollte man „die Reichen und Schönen” auch nicht behandeln, nur weil sie mehr Konsummöglichkeiten haben.

DIE ENHARMONISCHE VERWECHSLUNG DER HIERARCHIEN

Das Geheimnis der privaten Korruption hat nämlich auch noch eine dritte Dimension: die Hierarchie. Die Repräsentation des Allgemeininteresses in der Wirtschaft ist ja nicht nur den entsprechenden Organisationen überantwortet, der Freiheit unsere Verfassung in Art. 9 GG ebenso garantiert wie die Unabhängigkeit der Gerichte und Parlamente. Überall gibt es Menschen und wo es mehr Menschen gibt, gibt es Hierarchien. Je höher man kommt, umso dünner wird die Luft. Oben treffen sich dann nur noch ganz wenige Menschen und zwar immer wieder und häufiger. Sie mögen es verdient haben, dass man sie hierhin delegiert oder sie mögen sich durchgesetzt haben. Entscheidend ist, dass sie hier als „Repräsentanten” der Allgemeininteressen in diesem Sektor auserwählt sind und, soweit Reste von Demokratie bei denen herrschen, die sie dorthin entsandt haben, diese Interessen immer wieder mit denen rückzukoppeln haben, für die sie sprechen.

Das aber gelingt immer weniger, umso höher man klettert. Diese Menschen, die wir im feudalen Sprachgebrauch als „Eliten” bezeichnen statt sie in demokratischer Weise als „Repräsentanten” anzusprechen, bilden eigene Freundschaften und Seilschaften. Bestimmte Familienclans beherrschen das Management von Staats- und Großbanken, Lionsclub oder Freimaurer organisieren das Freundschaftliche dort oben. Auf diese Weise kann die horizontale Beziehung an der Spitze wichtiger werden als die vertikale Abhängigkeit von den allgemeinen Interessen. Aus Kreuzen werden Bs, ohne dass sich der Klang ändert.

TRANSPARENCY INTERNATIONAL – AUCH IM PRIVATEN

Wenn an dieser Analyse etwas dran ist, dann hat sie auch Konsequenzen für den Finanzsektor, der mit dem Verschwinden des Bargeldes alle Geldflüsse in dieser Gesellschaft vermittelt und damit auch kontrollieren könnte. Er könnte die Transparenz der Geldflüsse herstellen z.B. zwischen Einlagen und Kreditgeschäften wie in der US-amerikansichen Gesetzgebung zu Bilanzen und Community Reinvestment Berichten. Dort finden sich die nüchternen Transferzahlung auf die allgemeinen Interessen an Armutsvermeidung und Chancengleichheit bezogen aufgelistet.
Überall, wo allgemeine Interessen betroffen sind, müssen die Geldflüsse dorthin zumindest transparent gemacht werden, damit eine öffentliche Diskussion darüber anfangen kann, ob das Allgemeininteresse hier privat usurpiert wurde.
Das gewaltige Gegenargument des Datenschutzes ist dabei nicht einmal stichhaltig. Eine solche private Transparenz der Geldflüsse sollte die persönlichen Daten gar nicht antasten sondern allein die allgemeinen Übertragungen und Zahlungen statistisch erheben und über die Jahre vergleichen. Dann wüssten wir, wie viel privates Geld direkt oder indirekt in die Justiz geflossen ist, welche privaten Ressourcen etwa Verbraucherzentralen genutzt haben, wie viel der Betriebsrat oder die Gewerkschaft ausgaben. Hierzu müssten sich alle Vertreter, die das öffentliche Interesse für sich beanspruchen, entsprechend als „Lobbyisten des Allgemeinwohls” registrieren lassen, damit man zwischen ihnen und dem privaten Sektor finanzielle Transparenz herstellen kann.

Dazu brauchen wir keine Gesetze. Auch heute könnten unsere Banken etwas über die Geldströme aussagen, ohne dabei das Bankgeheimnis zu verletzen. Dazu brauchen wir aber neben Bilanzen, die nur Produktarten differenzieren, Berichte, die Ziel , Zweck und Ort der Transaktionen deutlicher werden lassen. (UR)