Nach dem am 27. April 2011 veröffentlichten Bericht „Doing better for Families” der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt die Kinderarmutsquote in Deutschland bei 8,3 Prozent und damit unterhalb des OECD-Durchschnitts von 12,7 Prozent. Demgegenüber war dieser Wert im Jahr 2009 noch mit 16,3 Prozent und damit etwa doppelt so hoch (!) angegeben worden (OECD, „Doing better for Children”). Der schlechte Wert war kurz vor der Bundestagswahl veröffentlicht worden und hatte nach der Wahl zur Kindergelderhöhung in Deutschland geführt.

Bedeutet der neue Befund demnach eine Halbierung der Kinderarmut in Deutschland binnen dreier Jahre? Die Financial Times Deutschland hat beim in Berlin ansässigen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nachgefragt, denn die Berechnungen stammen aus den Daten seines Sozioökonomischen Panels (SOEP). Mit einem ernüchternden Ergebnis: Nicht eine effektivere Sozialpolitik der vergangenen Jahre, sondern die Korrektur der Berechnungen sei nach Angaben des DIW Grund für die Halbierung. Denn immer weniger Befragte seien bereit, vollständig Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse zu geben. Dies habe man erst jetzt bei der Hochrechnung fehlender Daten und der Datengewichtung im Sozioökonomischen Panel berücksichtigt. Erst jetzt sei man mit den Daten wieder auf der sicheren Seite, zitiert das Blatt den zuständigen DIW-Experten.

Die Datenpanne zeigt, dass sich die Politik nicht allein auf eine einzige Datenquelle verlassen sollte. Sie verdeutlicht aber auch, wie notwendig es ist, quantitative Forschung durch qualitative Studien zu ergänzen. Denn die Lebenssituation und Teilhabemöglichkeit der Kinder hängt nicht allein vom statistisch ermittelten Nettoäquivalenzeinkommen der Familie ab. So kann statistische Einkommensarmut für auf dem Land lebende Kinder viel geringere negative Auswirkungen haben, als für solche, die in den Ballungszentren leben. Kinder überschuldeter Eltern, die noch dazu arm sind, haben hingegen besonders hohe Nachteile gegenüber ihren Altersgenossen, wie der iff-Überschuldungsreport regelmäßig belegt. Die Politik sollte daher ihre sozialpolitischen Entscheidungen stets auf aktuelle, repräsentative und qualitativ ergiebige Befunde stützen. Dazu wären eine intensive Befassung mit dem Problem und die Bereitschaft, in unabhängige Forschung zu investieren, unerlässlich.