Die Bundesregierung hat nach drei Jahren am 27. Dezember 2011 ihren neuesten, sechsten Bericht zum Girokonto für Jedermann als Bundestagsdrucksache 17/8312 (Link zum Download unten) veröffentlicht. Der Bericht informiert über den Stand der Umsetzung der ZKA-Empfehlung zum Girokonto für Jedermann, den Stand der Umsetzung der Empfehlung der Bundesregierung aus 2006, die Empfehlung der Europäischen Kommission zum „Basiskonto”, bringt einige aktuelle Daten zum P-Konto und schließt mit Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen der Bundesregierung. Wir kommentieren hier zunächst nur die Ausführungen zur Kontolosigkeit.

Zahl der Guthabenkonten auf 2,6 Mio gestiegen – 457.000 Konten mit Pfändungsschutzfunktion

Der Bericht stellt nach Auswertung der Daten der Deutschen Kreditwirtschaft (DK, früher: Zentraler Kreditauschuss ZKA) fest, dass sich die absolute Zahl der Guthabenkonten seit der Empfehlung des ZKA im Jahr 1995 stetig erhöht hat, von zuletzt 2.207.463 Girokonten für Jedermann im Dezember 2007 auf 2.605.076 im Dezember 2010. Im Juni 2011 meldete die Schufa 457.021 Pfändungsschutzkonten, hiervon 254.307 bei den Sparkassen und 73.514 bei den Genossenschaftsbanken, wobei zu vermuten ist, dass es sich dabei ganz überwiegend um Konten auf Guthabenbasis handelt. Die Zahlen seien bei den Beteiligten unstrittig. Weiterhin referiert sie ausführlich Hochrechnungen der Europäischen Kommission und des iff zur Kontolosigkeit (ca. 670.000 bzw. mindestens ca. 520.000 Kontolose).

Unterschiedliche Interpretationen der Daten

Gegensätzliche Ansichten gibt es bei der Interpretation der Daten. Die Kreditwirtschaft interpretiert ihr Datenmaterial dahingehend, dass die Empfehlung in der jetzigen Form erfolgreich sei und somit auch kein Handlungsbedarf bestünde. Demgegenüber argumentieren VZBV, Schuldnerberatungsstellen und AG SBV, dass es lediglich eine relative Verschiebung  bei den Haushalten mit Girokonten, und zwar von den Konten mit voller Funktionalität zu den auf Guthabenbasis geführten Konten gegeben habe.

Globale Datenlage zur absoluten Zahl der Kontolosen  nach Ansicht der Bundesregierung ungenügend

Die Bundesregierung selbst lässt (noch) offen, welcher Deutung sie folgt, und beruft sich dabei auf die ihrer Meinung nach immer noch nicht ausreichende Datenlage, für die sie die auf Seite 20 die DK verantwortlich macht („Um Rückschlüsse aus der Zahl der Girokonten auf die Zahl der Kontolosen in Deutschland ziehen zu können, hätte die DK zumindest auch die Anzahl der Kunden vorlegen müssen,  die ihr „normales” Girokonto in ein „Girokonto für Jedermann” umgewandelt bekommen haben.”) Gleichzeitig referiert sie aber die anderen Datenquellen zur Kontolosigkeit, wobei die dort jeweils errechnete Zahl der Kontolosigkeit nicht in Zweifel gezogen wird, sondern eher als zu gering erachtet wird. So kommt sie auf Seite 21 für die Zahlen des iff-Überschuldungsreports zum Ergebnis, dass „es sich nur um die untersten Werte der Schätzungen handeln kann, da nur die Personen berücksichtigt werden, die eine Schuldnerberatung aufgesucht haben.”

Kaum Verbesserung bei den Überschuldeten in Schuldnerberatungsstellen

Ausführlich beschäftigt sich der Bericht mit den Berechnungen des iff-Überschuldungsreport und stellt auf Seite 10 fest: „Der Überschuldungsreport 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2010 etwa 17,3 Prozent der Ratsuchenden in den Überschuldungsstellen über kein eigenes Girokonto verfügten. (…) Aufgrund dieser Zahlen geht das iff davon aus, dass die gestiegene Anzahl der Girokonten auf Kosten der normalen Konten erfolgte. Die Lage bei der Kontolosigkeit habe sich bislang lediglich gering verbessert, da die Kontolosigkeit auch in den Jahren 2008 und 2009 bei 18 Prozent der Ratsuchenden lag.”  Zumindest für diese besonders verwundbare und daher auch besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe liegen also belastbare Daten vor und zeitliche  Veränderungen können aufgezeigt werden. Die Bundesregierung sollte sich daher von ihrem absoluten Ansatz verabschieden, die genaue Zahl der Kontolosen ermitteln zu wollen und stattdessen stärker die einzelnen Gründe der Kontolosigkeit und die einzelnen Gruppen der Kontolosen stärker beleuchten. Bereits die Diskussion um die absolute Zahl der Überschuldeten hat von den eigentlichen Problemen dieser Menschen und Hilfsmöglichkeiten abgelenkt. Dieser Fehler sollte bei den Kontolosen nicht noch einmal wiederholt werden.

Bundesregierung sieht „dringenden Handlungsbedarf für die Kreditinstitute”, aber nicht für sich

Die Bundesregierung bemängelt weiterhin, dass die DK die Empfehlung des ZKA von 1995 gegenüber ihren Mitgliedern noch nicht in eine rechtlich verbindliche Selbstverpflichtung der Kreditinstitute gegenüber ihren Kunden umgewandelt habe. Daher sieht sie auf Seite 32 „dringenden Handlungsbedarf bei den Kreditinstituten”.  Sie selbst verspricht, sich in die Verhandlungen im Europäischen Rat im Hinblick auf einen für 2012 zu erwartenden Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission aktiv mit Forderungen einzubringen und sieht keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf nationaler Ebene. Dazu merkt der Bericht auf Seite 32 an: „ Es sollte vermieden werden, dass das nationale Recht gleich wieder aufgrund europäischer Vorgaben berichtigt werden muss. Jedenfalls kann aufgrund der sich abzeichnenden europäischen Regelung ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf auf nationaler Ebene gegenwärtig nicht bejaht werden. Es wird gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt von der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag zu prüfen sein, ob ergänzende Umsetzungsmaßnahmen auf nationaler Ebene zu ergreifen sind, sei es in Form eines Begleitgesetzes oder zusätzlicher Maßnahmen unterhalb des Gesetzes.”

Die Berichterstattung geht damit in die siebte Runde, ohne dass ein Anspruch auf ein Girokonto rechtlich verankert ist.