Die Auswertung der Fälle aus dem iff-Überschuldungsreport 2011 zeigt eine deutliche Verschiebung der Konten mit voller Funktionalität hin zu Konten, die auf Guthabenbasis geführt werden, auf denen also ein kurzfristiger Liquiditätsausgleich über Dispositionskredite nicht (mehr) möglich ist. Demgegenüber zeigen sich bei der Kontolosigkeit – kein eigenes Girokonto bzw. nur Mitnutzung Fremdkonten – nur geringe Veränderungen zwischen 2003 und 2011. Hier ist seit etwa einer Dekade eine Sockelkontolosigkeit von knapp 20 Prozent der Ratsuchenden auszumachen. Hieran hatte zumindest bis zum ersten Quartal 2011 auch die Einführung des P-Kontos nichts geändert.
Keine sichtbare Verbesserung durch Einführung des P-Kontos
Die Einführung des P-Kontos kann das Problem der Kontolosigkeit nicht lösen Die mit der Einführung des P-Kontos verbundene Hoffnung des Gesetzgebers auf eine deutliche Reduzierung der Kontolosigkeit hat sich bislang nicht bewahrheitet. Es ist nach seiner Einführung allenfalls eine leichte Besserung zu beobachten. Bis Anfang 2011 waren immer noch knapp 18 Prozent der Klienten von Schuldnerberatungsstellen ohne eigenes Girokonto. Das P-Konto wird von den Anbietern nicht selbstverständlich angeboten und von den Kunden nicht präventiv nachgefragt. Die Einrichtung des Kontos wird erschwert durch hohe Gebühren, eingeschränkte Kontofunktionen, mangelnde Kommunikation und fehlende Kenntnis der Betroffenen. Auch eine Stigmatisierung des Produkts und derer, die es nachfragen, ist auszumachen.
Männer besonders stark von Kontolosigkeit betroffen
Innerhalb der Gruppe der Überschuldeten ist Kontolosigkeit vergleichsweise stark bei den Männern anzutreffen. So waren im Zeitraum Beratungsbeginn von 2006 bis 2011 23,4 Prozent der Männer gegenüber nur 13 Prozent der Frauen von Kontolosigkeit betroffen.
Gesetzliches Recht auf ein Girokonto muss verankert werden
Selbstverpflichtungen der Bankenverbände sind rechtlich unverbindliche Appelle, praktisch untauglich und unzureichend. Wären sie ernst gemeint, würde auch in Deutschland eine rechtliche Regelung von allen befürwortet. Eine Regelung allein über die Kreditaufsicht macht eine Behörde verantwortlich, die eine eher konträre Berufung hat. Die Verankerung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf ein Girokonto („Teilhabe am Geldsystem”) ist nach den Grundsätzen der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern („first necessity”) möglich und sinnvoll. Wie der Staat es durchsetzt sollte nicht auf eine Maßnahme beschränkt bleiben. Zivilrechtlich sollte dieses Recht durch einen Begründungszwang und eine Ergänzung der Anti-Diskriminierungsvorschriften flankiert werden.
Girokonto muss Basisfunktionen sichern, Liquiditätsausgleich ermöglichen
Ärmere Haushalte haben zunehmend Probleme, mit dem unsteten Einkommen die laufenden teilweise sprunghaften Ausgaben kontinuierlich zu tätigen. Insbesondere Überbrückungskredite werden daher immer mehr zum Mittel der Armutsprävention. Die unsteten Einkommensbiographien erfordern auch den Zugang zu Überbrückungskrediten für untere Schichten, um einem neuen Wucherkreditmarkt vorzubeugen. Das Recht auf ein Girokonto muss daher auch den lebenswichtigen Liquiditätsausgleich der Kontoüberziehung einbeziehen, um Wucherkleinstkredite (Payday/Credit Card Loans) zu vermeiden. Andernfalls begünstigt der jetzige Zustand nur eine Ghetto-Ökonomisierung, auch in Deutschland.
Kreditvergaben dürfen nicht erzwungen werden. Sie sollten aber auch nicht unmöglich gemacht werden. Dem vorbildlichen Deutschen System akzeptabler kurzfristiger Kleinkredite auch für Ärmere durch die Kontoüberziehung droht die Zerstörung durch Überziehungsprovisionen und Gebührenwillkür sowie unqualifizierte Verkaufsstellen und Kreditkartenflut.
Basis der Daten: iff-Überschuldungsreport 2011
Das iff wertet seit 2006 regelmäßig die anonymisierten Daten von Haushalten aus, die bei neun teilnehmenden, über das Bundesgebiet verteilten, Schuldnerberatungsstellen Rat suchten. Betrachtet werden etwa 2.000 Fälle pro Jahr. Innerhalb der Beratung wird durch die Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater unter anderen auch dokumentiert, inwieweit die von Überschuldung betroffenen Ratsuchenden bei Beratungsbeginn über Girokonten verfügen. Gefragt wird nach der Verfügbarkeit von (1) eigenen Konten mit voller Funktionalität, (2) eigenen Konten, die auf Guthabenbasis geführt werden, (3) der (Mit-)Nutzung von Fremdkonten und (4) keinerlei Kontenverfügbarkeit.
Nachtrag: Anhörung im Finanzausschuss vom 25. April 2012
Aufzeichung der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des 17. Deutschen Bundestages am 25. April 2012 (86. Sitzung) zu den Themen „Girokonto für jedermann” und „Rechtssicherheit beim Zugang zu einem Konto auf Guthabenbasis schaffen”: