Liebe Freundinnen und Freunde des iff,

liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

meine besten Wünsche für ein friedliches neues Jahr 2016 aus dem iff. 

1. Deutschland ist an der Jahreswende 2015/2016 so reich wie nie zuvor: 12 Mrd. Euro Haushaltsüberschuss, ein solides Bankensystem mit hoher Diversität und Risikostreuung, eine prosperierende Wirtschaft, niedrige Arbeitslosenquoten und Ansehensgewinn im Ausland für eine Willkommenspolitik, die auch Wirtschaftsprobleme lösen soll. Es wäre himmlisch lebten wir auf einer Insel. Nach drei Jahren Lehre an einer italienischen Universität, wo man die Jura-Studierenden für die Arbeitslosigkeit ausbilden muss, fragt man sich aber, ob wir nicht als Nachfolger der westeuropäischen Kolonialherren auch an deren Verlusten beteiligt werden. Die Globalisierung hat die Nationen erfasst. Der aufwallende Nationalismus ist die verzweifelte Trauerarbeit der Völker, die nach der Heimat auch noch ihr Heimatgefühl verlieren.  Übrig bleiben die Individuen, die digitalisiert zu der Gleichheit werden, wie sie sich die amerikanisch-französische Revolution erträumte. Damit aber wird zugleich die reale Ungleichheit der Individuen zum internationalen Problem. Die Armut der anderen ist der soziale Sprengstoff, den wir leider erst als potenziellen Terrorismus erfahren, wenn er mit Dynamit ausgestattet wurde. Unsere Statistiker berauschen sich weiter an Durchschnittsmenschen, Durchschnittsdeutschen, Durchschnittsverbraucher, Durchschnittsfamilien, auch wenn es davon real nicht mal ein einziges Exemplar gibt.

Die Lösung der Probleme scheint alte sozialistische Utopien neu zu erwecken. Der Krieg der Hütten gegen die Paläste, der Unmut der Zuwanderer und Abgehängten gegen den Reichtum derjenigen, für die sie arbeiten sollen und umgekehrt das bedrohte Kleinbürgertum gegen die Immigranten, die Gewalt derjenigen, die nichts besitzen, was zerstört werden könnte – alles braucht nur Geld, weil allein das den Unterschied zwischen reich und arm einebnet. Jedes Problem ob Krieg, Flucht oder Ausgeschlossenheit – wir vergeben Geld. Bill Gates löst die Gesundheitsprobleme Afrikas, die Transferzahlungen der EU an die Türkei das Flüchtlingsproblem. Funktioniert das?

Geld macht niemanden satt. Man kann es eben nicht essen. Sein Besitz vermittelt nur eine (zirkulationsfähige) Forderung gegen andere mit der Pflicht, für den Geldbesitzer zu arbeiten. Diese Einsicht habe ich versucht, in den letzten drei Jahren in drei Bände zum Thema Das Geld hineinzuschreiben, die im Sommer erscheinen. Das Werk betrachtet das Geld und seine Nutzanwendungen aus ökonomischer, soziologischer und juristischer Sicht. Es erscheint darin vieles umgedreht. So wechselt derjenige, der Geld verschenkt nur die Gläubiger aus, nicht aber die Schuldner. Man muss auch Geld gar nicht haben, sondern nur darüber verfügen können, da man dem Geld nicht ansieht, wem es gehört. Es reicht daher zur Teilhabe, dass man darüber verfügt. An die Stelle des Geldbesitzes tritt Liquidität und Kreditwürdigkeit. Die Verschuldung ist dann nicht Problem sondern Chance.

Geld nutzen heißt Kredit nehmen, um dadurch zum Gläubiger zu werden. Das hat Konsequenzen.  Haben wir uns daran gewöhnt, dass das Geld als Besitz die Menschen voneinander trennt und zu Gegnern macht, so würde ein Verständnis von Geld als Kredit uns dazu bringen, seine verbindende Funktion zwischen den Menschen zu verstehen. Man könnte es bewusster einsetzen, weil mit dem Geld als Kredit Gläubiger und Schuldner miteinander in Kooperation treten. Allerdings ist dann nicht mehr der Gläubiger der Investor sondern der Schuldner derjenige, der mit seiner Arbeit den Wert des Geldes beim Gläubiger erhält oder oft vermehrt. Der Aufstand der Schuldner aller Länder ist dann eher Chance als Bedrohung.

2. Doch in unseren Auftragsprojekten merken wir, dass die Lehre vom Geldhaben als Sinn des Lebens eine so produktive Ideologie ist, dass wir noch lange nicht ohne sie auskommen. Geld als Ziel wird nur langsam durch das Geld als Mittel und die Einsicht in die Sinnhaftigkeit der damit vermittelten Kooperation verdrängt werden können.

Die Bundesregierung hatte uns beauftragt, ein Konzept des geförderten Bildungssparens  für bildungsferne Schichten zu entwerfen und seine Marktfähigkeit zu erkunden. Wir haben daraus einen geförderten Ansparvorgang gemacht, der Zugang zu Bildungskrediten verschaffen soll. Das passte zwar nicht in die Landschaft aber wäre für die Zielgruppe der Migranten realistischer gewesen. Für die EU-Kommission haben wir über Provisionen im Versicherungsbereich geforscht, denen unterstellt wird, dass sie die Falschberatung fördern. Ein ähnliches Projekt über die Boni der Banker haben wir am 28. Januar abgegeben. Politik und Presse gehen davon aus, dass erfolgsabhängige Bezahlung für Falschberatung sowie die Übernahme exzessiver Risiken verantwortlich zu machen ist. Wir sind skeptisch. Richtig ist, dass sogar Ökonomiestudenten Geldhaben als Studienziel angeben. Richtig ist aber auch, dass diese Menschen häufig mangels alternativer kultureller Erfahrungen und fehlender kollektiver Einbindung in nachhaltige Ziele in die Dummheit des Geldes zurückfallen. Doch nicht die Abstinenz hilft. Es hilft auch nicht Fernando Pessoas Fantasie vom „anarchistischen Bankier”, der Geld akkumuliert, um durch seine Masse davon unabhängig zu werden. Geld muss man nutzen, um es als Mittel der Kooperation statt als Ziel des Individualismus erfahren zu können.

Mit solchen Auffassungen sitzen wir zwischen den Stühlen. Ist Geld gut, wenn man es nutzt, schlecht wenn man es hat? Die Lehre von der Gier der Menschen geistert durch die Ökonomie und beherrscht Soziologen wie Pädagogen in der Überschuldungsforschung. Unsere jährlichen Überschuldungsreports vermitteln hierzu Fakten von über 60.000 Haushalten, die wir durch den Einsatz unseres Schuldenberatungsprogramms CAWIN gewinnen.  Die Gier nach Geld ist dabei genauso (un)wichtig wie der Durst beim Alkoholismus.

Die (gescheiterte) Kapitalanlage illustriert die Fehlvorstellung. Nicht der gepfändete Kreditnehmer sondern der geprellte Kapitalanleger und Investor wird zum Musterverbraucher. Als typisches Opfer der Finanzinstitute repräsentiert er oder sie die Notwendigkeit des Verbraucherschutzes. Ein Menschenrecht auf sich selbst vermehrendes Geld durchgeistert Politik und Gesetzgebung. Überall erscheint der Wohlhabende vom Betrug des Finanzsystems gefährdet. Irreführungen bedrohen die Geldbesitzer auch wenn immer mehr Wohlhabende selber als Betrüger entlarvt werden.

Die Verbrauchergesetzgebung vermittelt dazu eine Informationsflut, mit der die Inhaltsleere und Zwecklosigkeit von Geldanlagen ins Unterbewusste verlagert wird. Weil die Fragen des Woher und Wohin beim Geld kaum noch eine Rolle spielen oder in eine scheinbar ethische Kapitalanlagemöglichkeit verdrängt wird, fällt es leichter dem zu geben, der schon hat. Das Geld ist so reichlich und so konzentriert bei immer weniger Menschen vorhanden, dass es nicht einmal mehr zur Inflation kommt. Die Geldbesitzer tauschen es nicht mehr gegen konsumierbare Arbeitsprodukte ein sondern wollen es nur noch vermehren. Das aber geht am besten, wo die Realwirtschaft nicht stört.

Für die Bundesregierung haben wir die Wirkungen des pfändungsfreien Kontos in der Bankenwelt empirisch erfasst und dabei erstaunlich erfreuliche Ergebnisse dieser gelungenen Reform erfahren, die unsere eigenen Befürchtungen, dass mit Spezialprodukten für Arme ein Ghettoökonomie heraufbeschworen werden könnte relativiert. Mit einem Produktinformationsblatt für ein anderes Ministerium haben wir uns einem Thema gewidmet, das Wirtschafts- und Rechtschinesisch in eine für Verbraucher nach Umfang und Form verständliche Sprache zu bringen versucht, wie wir es vorher schon einmal für eine große Bank erfolgreich schafften. Wie wichtig das wäre zeigt aktuell die Umstellung der Banken-AGB, bei der den Verbrauchern nun die Sprachkompromisse der EU-Richtlinien zugemutet werden. Nur eine radikale Einsicht wird letztlich helfen: die Verträge formulieren die Verbraucher. Es ist Sache der Gerichte, deren Willen in die Rechtssprache zu übersetzen und zur Geltung zu bringen. Wer den Verbrauchern die immer komplexer werdende Rechtssprache im Bankbereich aufnötigt, der hält nichts von der Willensfreiheit im Vertragsrecht.

3. Das iff musste sich auch 2015 wieder neu erfinden. Integrationslösungen in die Universitätslandschaft versprechen wohl keine Zukunft. Universitäten wollen heute Geld verdienen. Wissenschaft, Forschung und Lehre sind dafür oft nur noch Mittel. Dagegen hilft die Kooperation in konkreten Projekten. Deshalb sind wir froh, dass wir externer Partner der Universität Hamburg bleiben und Kooperationsvereinbarungen mit Rostock, Trento und Santiago haben. Der Schwerpunkt im Institut hat sich 2015 auf internationale Projekte verlagert. Wir haben zwei Rahmenverträge mit dem EU-Parlament über Beratung im Verbraucherschutz sowie im Vertragsrecht gewonnen, aus denen wir uns neue Projekte erhoffen. Zugleich haben wir mit der EU-Kommission vier multinationale Projekte zu den Themen der Bankerboni (CRD IV), zur Nutzung von Wohnraum als finanzieller Altersvorsorge (Equity Release Schemes), zum Aufbau von Verbraucherrechtsberatung in der Türkei sowie zu Modellen finanzieller Unterrichtung in einigen EU-Staaten erhalten. Eigentlich sind es alles Projekte der Zukunftsforschung, würden nicht oft so viele Interessen derjenigen daran hängen, die ihre Pfründe nur verteidigen wollen.

Unmerklich ist das iff seinen Aufgaben gefolgt. Aus einem ehemals rechtssoziologischen Institut (bei der Gründung 1987 hieß es noch Arbeitskreis für Rechtssoziologie e.V.) ist ein ökonomisches Institut geworden, das mit juristischer Fachkenntnis vor allem über Wirkungen, Fehlentwicklungen und zielführenden Verbesserungen staatlichen (Parlament, Aufsicht, Gerichte) wie vertraglich rechtlichen Handelns der Anbieter forscht. Mit der Berufung unserer zweiten Direktorin, der Volkswirtin Prof. Doris Neuberger, hatte die Entwicklung begonnen. Dazu gehört ein Team von wissenschaftlichen Mitarbeitern wie Sebastien Clerc-Renaud, Laura Flach und Michael Feigl. Auf unseren bisherigen Geschäftsführer Rechtsanwalt Michael Knobloch mussten wir allerdings ab dem 1. Januar 2016 verzichten, weil er zum Leiter der Verbraucherzentrale Hamburg gewählt wurde. Dafür ist es uns aber gelungen, schon zum 15. Januar einen neuen Geschäftsführer zu benennen. Dr. Dirk Ulbricht forschte vorher als Volkswirt bei ifo-institut und DIW im Finanzsystem, bevor er beim Bund der Versicherten als Sprecher arbeitete. Die Kompetenz des instituts zur verbraucherorientierten Finanzmarktüberwachung ist damit entscheidend gestärkt und zur Marktanalyse hin verlagert worden.

Unsere Unterstützung der Finanz- und Schuldenberatung im In- und Ausland bekommt dadurch eine zweite wichtige Funktion: die Datengewinnung. Schon die letzten EU-Projekte betrafen die Nutzung von BankScope oder von der European Banking Authority bereitgestellte Daten. Ein riesiger Datenschatz sind die Überschuldungsdaten aus CAWIN, die wir jährlich zum Überschuldungsreport auswerten. Ähnliches haben wir an Einzelprojekten wie der Bearbeitungsgebührenerstattung mit unserem Programm iff-finanzcheck gezeigt. Wir sind daher schon lange so etwas, das man heute als Marktwächter bezeichnet. Leider fehlt uns hier anders als bei der Überschuldung (Stiftung Deutschland im Plus) die Finanzierung, weil die Tendenz, Mittel lieber für sich selber als für produktive Kooperationen zu nutzen, im öffentlich geförderten Bereich allzu deutlich bleibt.

Wir können inzwischen Städten und Regionen aber auch einzelnen Banken und dem Gesetzgeber mit tausenden ständig erhobener Daten und Datenbankkombinationen etwas über die realen Wirkungen des Finanzsystems auf Menschen und Wirtschaft zeigen und sie kompetent bei der Umsetzung von Erfahrungen in Recht und Handlungsmöglichkeiten beraten. Dass unser Rat in vielen Beiräten, Konferenzen und Arbeitsgruppen gefragt ist, gefährdet aber leider häufig eher die Arbeit, weil das iff von seinen Einnahmen lebt und die vermeintliche unentgeltliche Ehre, gefragt zu werden, auf anderweitig bezahlte Lobbyisten zutrifft, das iff dagegen finanziell extrem belastet.

Trotzdem bleibt es Ziel des instituts, Presse, Öffentlichkeit und Politik wie Verbände zu beraten und Vorschläge zu machen, auch wo es nicht bezahlt wird. Dass das dann häufig in Nachtarbeit passiert, haben wir gerade wieder vor Abgabe des EU-Projektes erleben müssen.

5. Ich persönlich hoffe, dass nach 33 Jahren unter meiner Leitung das iff mit seinem neuen Team verstärkt durch meine weitere rechtssoziologische Ergänzung dieser Arbeiten noch mehr Unterstützung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat erhält. Es geht darum, das in bezahlte Arbeitsaufträge zu überführen, was für den Verbraucherschutz bzw. verbraucherorientierte Angebote bei Finanzdienstleistungen notwendig ist. Unsere aktuellen Projekterfolge zeigen, dass wir etwas zu bieten haben und nicht betteln müssen. Die gerade erfolgte Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Direktor des iff sehen wir als eine Anerkennung unseres kollektiven Bemühens für den Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen an.

In diesem Sinne wünsche ich allen, die dem iff freundlich gesinnt sind, ein gutes Jahr 2016 und hoffe am 2. und 3. Juni 2016 viele von Ihnen wieder auf unserer jährlichen internationalen Konferenz zu Finanzdienstleistung in Hamburg (www.iff-hamburg.de/konferenz) begrüßen zu können.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Udo Reifner