von Dirk Ulbricht

 

Udo Reifner will mit seinen vier Bänden über das Geld, so sagt er es auf seinem Blog selbst, „die Welt von außen betrachten, sie querdenken und die Vorteile von gedanklichen Umkehrung aufzeigen“ und über heilige Kühe und Gemeinplätze nachdenken.((http://udoreifner.de/changement-de-terrain/, abgerufen am 19.03.2018.)) Dabei hat Udo Reifner ein gutes Gespür dafür, über was man da nachdenken oder zum Nachdenken anregen muss. Aber, sein Ziel, Gemeinplätze zu hinterfragen, erfüllt er zu erfolgreich. Das schreckt ab.

Viele Thesen wirken auf den ersten Blick so steil und abwegig, dass man sie erst gar nicht weiterverfolgen möchte. Und, Udo Reifner hat nicht einige wenige, sondern eine Vielzahl von diesen Querdenker-Thesen. Sie scheinen lediglich Aufmerksamkeit hervorrufen zu wollen und Teil dieser Welt zu sein, die „über immer mehr immer weniger informiert“. Also genau der Welt, die er hinterfragen möchte. Dennoch, spätestens auf den zweiten Blick, stellen sich seine These als das heraus, was sie wirklich sind: gut überlegte Debattenbeiträge.

Das ist das, was mir mit seinem Beitrag zum Provisionsverbot passiert ist. Nachdem ich knapp zwei Jahre als Vertreterbereichsleiter für eine große Versicherung den Außendienst kennengelernt hatte, schienen mir seine Kommentare dazu zunächst absurd.

Fehlanreize! Auf den ersten Blick ist es einfach, wenn man zum Kern der Falschberatung vordringen möchte. Finanzvermittler machen schlicht das, was für sie persönlich am besten ist. Sie maximieren ihren Profit indem sie den ahnungslosen Kunden, die ohnehin weder verstehen noch verstehen wollen, was sie da eigentlich kaufen, das Produkt verkaufen, das die höchste Provision verspricht. Im Zweifel ignorieren sie die Bedürfnisse des Kunden und beraten ihn falsch. Gierige Vermittler scheinen die Wurzel des Übels zu sein, das zuletzt mit der Finanzmarktkrise und der Lehman-Pleite wieder deutlicher zu Tage getreten ist, aber mit den jahrzehntelangen Falschberatungen bei Kapitallebensversicherungen und Krediten bereits seit Jahrzehnten immer wieder für Schlagzeilen sorgt.

Genauso klar ist die Antwort, die man darauf geben muss: Provisionen müssen weg! Es darf keinen Fehlanreiz mehr geben. Diese Meinung hat sich bei den Verbraucherschützern – und sie hatte sich auch bei mir – durchgesetzt. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband macht sich mit aller Kraft dafür stark, dass Provisionen zu Gunsten von Honoraren ersetzt werden. Statt für einen erfolgreichen Abschluss soll der Kunde für eine gute Beratung bezahlen. Kauf und Beratung sollen voneinander getrennt werden.((So bspw. Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt, im Februar 2018 „Wenn Provisionen wegfallen, sind die Fehlanreize deutlich geringer. Das stellt die Unabhängigkeit der Berater sicher und steigert automatisch die Beratungsqualität“, https://www.vzbv.de/pressemitteilung/provisionsverbot-niederlande-ziehen-positive-bilanz, abgerufen am 19.03.2018))

Umso erstaunlicher scheint es dann, dass Udo Reifner mit der Abschaffung der Provision in der Finanzberatung nicht nur nicht einverstanden ist. Er begründet das ausgerechnet auch noch damit, dass Provisionen sozial gerechter seien. Statt einem Nährboden für Gier sind Provisionen am Ende also sogar noch eine Quelle von sozialer Gerechtigkeit? Und das von jemandem, der sich, zuletzt mit der von ihm initiierten Kampagne gegen den Wucher((https://www.iff-hamburg.de/2017/08/21/news-49162/, abgerufen am 19.03.2018.)), ein Leben lang für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat?

Udo Reifner sieht die Ursache dafür, dass Verbraucher nicht brauchbare Lösungen für ihre finanziellen Bedürfnisse erhalten, woanders. Kapitallebensversicherungen, die noch nicht einmal die Inflation ausgleichen können und für mehr als 50 Prozent der Vorsorgesparer, die frühzeitig abbrechen müssen, zum finanziellen Katastrophe werden. Kredite, die bei einer vorzeitigen Kündigung um ein Drittel teurer werden, Fonds, die für Verbraucher zu komplex und nicht geeignet sind, sind vor allem deswegen schlecht für den Kunden, weil es sich um schlechte Produkte handelt.

Wie aber kann es sein, dass Kunden dennoch diese Produkte kaufen? Es ist nicht alleine die Komplexität. Reifner argumentiert, dass es auch andere komplexe Produkte in einem scharfen Wettbewerb transparent verkauft werden, so zum Beispiel in der Informationstechnologie. Vielmehr sieht Reifner die Hauptursache eben genau diesem Fehlen eines funktionierenden Wettbewerbs. Insbesondere Banken und Versicherungen haben eine Monopolstellung im Verhältnis zum Kunden.

Manchmal haben die Banken zudem eine spezielle Machtsituation gegenüber ihren Kunden. Wer einen Kredit dringend benötigt, der nimmt dafür auch Koppelprodukte, wie die Restschuldversicherung, in Kauf. Die Restschuldversicherung, häufig eine Lebensversicherung, sorgt für die Rückführung des Kredits im Fall eines Falles. Sie wird häufig zu deutlich schlechteren Konditionen als am Markt verkauft und führt bei Banken zu hohen Provisionserträgen. Diese Provisionen sind nicht nur um ein Vielfaches höher, als üblich, sondern werden, zum allem Überfluss und außerhalb des Kreditkontextes ebenso wenig üblich, vorab zu entrichten. Das bedeutet, dass der Kreditnehmer darauf auch noch Zinsen entrichten muss. Im Verhältnis zum Gesamtbetrag sind sie nicht unbedeutend. Zuletzt sind Extremfälle von einem Viertel bezogen auf die eigentliche Kreditsumme öffentlich geworden.((Siehe https://www.verbraucherzentrale-sachsen.de/18-550—praemie-fuer-restschuldversicherung—verbraucherschuetzer-dem-wucher-auf-der-spur—-, abgerufen am 19.03.2018.))

Für Reifner gilt es daher nicht, die Provisionen abzuschaffen. Vielmehr geht es darum, mehr Wettbewerb herzustellen. Wenn nötig, muss das Kartellamt einschreiten. Schlechte Produkte, die zudem auch noch zu hohen Provisionen verkauft würden, sind dann nicht mehr marktfähig und verschwinden von alleine.

Warum aber sind Provisionen sozial gerecht? Niedrige Einkommen sind schlicht nicht in der Lage, Finanzberatung zu finanzieren. Wenn alle, große und kleine Einkommen gleichermaßen, auf Provisionsbasis die Berater finanzieren, so kommt es zu einem sozialen Ausgleich. Das gilt auch über die Zeit. Kunden mit niedrigem Einkommen entwickeln sich weiter und werden dann auch für Vermittler wieder interessant.

Nur so kommt, laut Reifner, eine Versorgung der Bevölkerung als Ganzem mit Finanzberatung zu Stande. Reifner verweist auf andere, ähnlich gelagerte Sachverhalte, um das zu begründen. So stellt er dar, dass bei Rechtsanwälten ohne eine staatlich organisierte Rechtshilfe und auch zum Teil kostenlose Beratungsangebote eine Unterversorgung herrschen würde. Zudem zeigt er eine Analogie zum amerikanischen Gesundheitswesen auf. Dort hat die Honorarberatung letztlich zu einer eklatanten Unterversorgung sozial benachteiligter Schichten geführt. Erst eine Wende hin zu einer staatlichen Grundversorgung wie in Europa sorgt nun für eine hinreichende Versorgung.

Nicht nur beim Provisionsverbot, sondern bei den meisten Herzensangelegenheiten des Verbraucherschutzes, die längst zu den heiligen Kühen der Szene geworden sind, denkt Udo Reifner quer, und zeigt über Branchen, Fachrichtungen und Landesgrenzen hinweg Erklärungen und Lösungen auf. Häufig vertritt er dabei eine ganz eigene Position, nicht nur, weil er sich einfach gerne reibt. Seine vier Bände sind so eine Fundgrube für alle, die in Sachen finanziellen Verbraucherschutz nicht nur an der Oberfläche bleiben möchten.

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Provision und Wucher

Anmerkung zu Dirk Ulbricht: Das Geld – Provisionen

Sind prozentual bestimmte Provisionen, die vor Nutzung der Dienstleistung bei Abschluss eines Vertrages an einen Vertreter des Verkäufers gezahlt werden, finanzielle Fehlanreize an Vertreter, um möglichst viel von einer möglichst wertlosen Ware an möglichst viele Verbraucher abzusetzen? Aufwandsbezogene Honorare sind dann die bessere Alternative.

Tatsächlich zeigte meine eigene empirische Forschung zur Wirkung von gesetzlich festgeschriebener honorarbetriebener Rechtsberatung auf die Unterschichten, dass das aufwandsbezogene Honorarsystem sozial weit stärker diskriminiert als das Provisionssystem.  (Blankenburg/Reifner, Rechtsberatung, 1982; zusammengefasst in Das Geld 1, S. 291 – 314.)  In zwei europaweiten EU-Projekten für Versicherungsvertreter bzw. Bankmanager konnten wir auch Provisionssysteme evaluieren. Das Ergebnis war: Investmentbankmanager interessiert nicht wie sondern ob sie viel Geld verdienen. Nach der Deckelung der Provisionen stiegen die Gehälter bei der Deutschen Bank, so das im Ergebnis alles beim Alten blieb. Dasselbe zeigte sich nach dem Provisionsverbot für Finanzmakler in Finnland. Wir fanden es ferner bestätigt durch die Untersuchung des Verkaufs von Versicherungsprodukten. Kühl und am kurzfristigen Gewinn orientiert kalkulieren hier nur Banken und Strukturvertriebe, die mit Schneeballsystemen kollektive Betrugsstrategien erarbeitet haben, die Vertreter wie Kunden gleichermaßen treffen. Restschuld- und Kapitallebensversicherungen sind Produkte, mit denen durch systematischen Betrug Extragewinne erzielbar werden.

Das Problem ist jedoch nicht die Provision, sondern die Vertuschung der Monopolprofite sowie die Immunisierung dieses Wuchers gegen Kritik, Wettbewerb und Rechtskontrolle. Das moderne Raubrittertum ist System. Es wirkt kollektiv und kann daher nur kollektiv und damit rechtlich gebändigt werden. Wettbewerb hilft nicht, wo systematisch missbrauchte Schwäche extreme Margen verspricht.

Es ist daher nicht der individuelle Verkaufsakt von Einzelpersonen. Es ist das Gesamtsystem eines Absatzes, indem die Intermediäre Produkte wie die Restschuldversicherung mit bis zu 90% Bankprovision entwerfen, dies den Produzenten mit Marktmacht aufdrängen, die Gewinne einstecken und Produktkritik an sich abgleiten zu lassen.

Der Makler und sein Lohn wurde zu Recht von Don Quixote (zitiert in Das Geld 1 Fn. 458) im historischen Ursprung aller Maklerverträge, der Brautsuche, belobigt. Er belohnt die gute Vermittlung auf Dauer, schafft den notwendigen Leumund und die Kundenbindung. Es ist nur seine kollektive Gestaltung und der Missbrauch durch diejenigen, die das System beherrschen. Ehemalige AWD-Vertreter und Investmentbanker sehen sich  selber als Opfer solcher Systeme. Wir haben dies in einer Umfrage unter Anlageberatern bestätigt gefunden.

Das Grundproblem ist und bleibt der Wucher. Es ist die übermäßige Bereicherung auf Kosten anderer. Die Langfristigkeit einer Kundenbeziehung, die zivil- und strafrechtliche Kontrolle der Grenzen, die moralische Bewertung durch die Agenten, die selber dem Wucher ihrer Auftraggeber ausgesetzt sind – alles dies sollte ihn in Grenzen halten. Doch diese wurden aufgehoben. 90% Provision führen zu keinem Nichtigkeitsverdikt mehr. Die Aufsicht findet es ungewöhnlich.

Verbraucherverbände, Regierung und Banken einigen sich aber auf die Provisionstheorie. Der Mensch ist schlecht, wenn das Geld ihn versucht. Mit Schuld und Sühne, Sünde und Alltagstheorien verhindert man, dass das System und die Grenzen des Wuchers diskutiert werden. Die Produkte werden immun, wo die Art ihres Absatzes in den Mittelpunkt rückt. Überschuldung ist dann nicht mehr Funktion überhöhter Schulden, sondern schlechter Beratung. Hoffen wir nur, dass zum Umdenken nicht erst wieder wie 1789 und 1918 eine Revolution oder gar ein Krieg notwendig ist. (UR) 19.12.2018