GENUG ZEIT FÜR DIE SOZIALPOLITISCHE VERTRETUNG DER INTERESSEN ÜBERSCHULDETER UND IHRER BERATER?

Acht Jahre hat Marius Stark in der Vielzahl der Stimmen der Schuldnerberatung die Wohlfahrtsverbände, die hier die Hauptarbeit verrichten, wirksam und offensiv vertreten. Aus der Sozialarbeit kommend ist es ihm gelungen, der Schuldnerberatung bei der Kreditwirtschaft ebenso wie im Famlienministerium Gehör zu verschaffen und ein Dachforum aller in der Schuldnerberatung aktiven Organisationen, die AK InsO, fachlich versiert mit aufzubauen.

Die Sprecherfunktion ist einerseits mit dem Familienbildungsexperten Heribert Rollik (DRK) und der Volkswirtin Dr. Monika Burmester deutlich die Hierarchieebene der Verbände hoch gerückt, andererseits zeigt die von den Geschäftsführern der Verbände gewollte Aufgabenfülle der neuen Spitze, dass wahrscheinlich weniger Zeit für die wichtige sozialpolitische Vertretung spezieller Interessen der Schuldnerberatung bleiben könnte. Damit besteht die Frage, ob die bisherige Tuchfühlung zu diesem atypischen Feld wirtschaftlicher Sozialarbeit gehalten werden kann. Wir möchten dies hoffen und Wünschen, weil es in einer Zeit passiert, in der die Schuldnerberatung am Scheideweg steht und sehen in der Person von Herbert Rollnik hierzu gute Chancen, hier wieder der Bedeutung des Amtes in Kooperation mit Verbraucherverbänden und Wissenschaft entsprechend tätig zu werden.

ZUR ERFAHRUNG VON HERBERT ROLLNIK IN DER SCHULDNERBERATUNG

Herbert Rollnik ist seit 25 Jahren im DRK Generalsekretariat im Bereich Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe und setzte sich dort mit Grundsatzfragen der Familienhilfe auseinander. Der Aufbau der Schuldnerberatung im DRK gehört zu seinen Aufgaben. Weiter hat er viele Projekte zur Armutsprävention entwickelt und bundesweit umgesetzt. Auch der Schuldenreport 2006 wurde wie schon seine Vorgänger von ihm als Mitherausgeber begleitet.Mitglied in vielen Fachforen, Beiräten des BMFSFJ leitet er seit 16 Jahren und auch weiterhin die BAG Familienbildung und Beratung. Er vertritt das DRK, die anderen Wohlfahrtsverbände und Familienverbände als Präsident des Deutschen Nationalkommitees für nationale und internationale Familienpolitik in der Weltfamilienorganisation, die sich stets mit Fragen der Armut beschäftigt. Seine Tätigkeit im Bundesforum Familie, dem Kuratorium Bundesstiftung Mutter und Kind sowie beratende Aufgaben an einigen Universitäten beziehen die Schuldnerberatung immer mit ein, so daß er das Thema als Querschnittsaufgabe ansieht.

Seid 6 Jahren war er schon stellv. Sprecher der AGSBV und hat mit Marius Stark eng kooperiert, der diesen Wechsel vorschlug. Innerhalb der AGSBV sind die Aufgaben nun anders verteilt worden und es ist sogar eine Rotation der Sprecher im Gespräch.

Diese Informationen haben wir von Herbert Rollnik selber erhalten und wünschen hier ein fruchtvolle Zusammenarbeit gerade auch im Hinblick auf die anstehenden Konferenzen im Jahre 2007 in Hamburg und Brüssel, an der die AGSBV als Mitveranstalter und Unterstützer bisher aktiv beteiligt war.

Die nachfolgenden Bemerkungen sollen aus unserer Sicht die Problematik dieses Bereiches beleuchten und einen neuen Dialog anreizen, der angesichts des Drifts der Überschuldungsdiskussion in eine Überschuldetendiskussion (Bildung statt Hilfe, Psychologisierung statt Ursachenanalyse, Sozialhilfe statt Verbraucherschutz, Kreditnehmer statt Kreditgeber) notwendig erscheint.

SCHULDNERBERATUNG ZWISCHEN INKASSO UND ÜBERSCHULDUNGSPRÄVENTION

Unter dem immensen Druck des Rückzugs staatlicher Finanzierung, von der auch die Wohlfahrtsverbände abhängen, ist Schuldnerberatung für eine Instrumentalisierung anfälliger geworden, die einem umfassenden gesellschaftspolitischen Konzept der Bekämpfung von Überschuldung entgegenlaufen könnte. Der Aufsatz aus dem Gründungsjahr des iff 1987 „Wer hat Schuld? – Schuldenberatung zwischen Inkasso und Gegenwehr” (in: Matthias Arkenstette u.a. (Hrsg.), Wie werd‘ ich meine Schulden los? – Überschuldung – und was dagegen getan werden kann, VSA-Verlag Hamburg, 1987, 136) hat neue Aktualität bekommen, nachdem Kredite zum zentralen Problem der Armutsgenese wie aber auch Mittel der Armutsprävention geworden sind.

Der Ruf nach Insolvenzbegleitung und einer Bildungstätigkeit der Schuldnerberater, die der These folgen soll, dass die meisten der Überschuldeten durch bessere Schulung am besten im Kindesalter ihrem Schicksal entronnen wären, wird lauter. Es sind nicht die Soziologen und Sozialarbeiter sondern Politik und Wirtschaft, die dies verkünden. Damit wird, wie die ECRC immer wieder betont hat, für EU und Justizministerium sowie einige Kreditgeber der Weg frei, Kredite per Mausclick über das Internet zu erhalten, ungehemmt hohe Provisionen bei Restschuldversicherungen zu verstecken und mit einem rigiden Inkasso die „Zahlungsmoral” der Überschuldeten „zu fördern”.

Dabei gibt es einen einfachen und unabweisbaren Satz: Die Überschuldung wird immer durch eine Kreditkündigung eines Kreditgebers ausgelöst und besteht im wesentlichen darin, dass Bankkredite nicht mehr bedient werden können. Soll die Schuldnerberatung davor die Augen verschließen und sich allein den Schuldnern zuwenden?

SCHULDNERBERATER HABEN IHREN PLATZ NEBEN VERANTWORTLICHEN KREDITGEBERN

Eine Reihe seriöser Banken machen sich inzwischen Gedanken darüber, wie man Kredite bei Abschluss ebenso wie während der Laufzeit besser an die Lebensverhältnisse der Verbraucher anpassen kann, um Kündigungen zu vermeiden. Neue Produkte müssen entwickelt werden, selbstbewusste Verbraucher werden in Projekten wie dem Schuelerbanking.de darin geschult, Kredite aufzunehmen und ihre Kritik und Wünsche zu äußern. Anbieter und Versicherer überlegen, wie sie Risiken, für die die einzelnen nichts können, gerechter und schonender verteilen und streuen können. Andere wollen dagegen härteres Inkasso, Strafen und ungehemmten Handlungsspielraum im Kredit.

SCHULDNERBERATER SIND WHISTLEBLOWER DER KREDITWIRTSCHAFT

Die Wirtschaft braucht Schuldnerberater, die ihre „Warnsignale benutzen”, die man in vielen Staaten der Welt als „whistle blower” der Wirtschaft sogar gesetzlich vor der Repression durch die Kritisierten schützt. Die Kreditwirtschaft hat kompetente Endbandkontrolleure nötig, die an den Auswüchsen der Ausbeutung von Armut geschult ihre Vorstellungen ins System einbringen, die mit ihr kompetent zusammenarbeitet aber auch selbstbewusst den Faktor Mensch vertritt. Der Staat schließlich braucht Hilfe, was er machen kann, damit Verschuldung Verschuldung bleibt und nicht in Überschuldung umschlägt. Wir brauchen Daten, die die These fast aller empirischen Forschung in der Welt, wonach 87% aller Überschuldungen subjektiv unvermeidbar waren und es um die Kapazität geht, damit trotzdem umgehen zu können, handhabbar machen. Wir brauchen aber auch Informationen, wie teure Kleinkredite, Umschuldungen, Kombinationsfinanzierungen und Kettenkredite, die letztlich die Allgemeinheit belasten gezähmt werden können. Banken brauchen langfristig kreditwürdige Kunden und müssen lernen, dazu beizutragen.

SCHULDNERBERATUNG IST KOMPETENZRESERVOIR FÜR STAAT UND GESELLSCHAFT

Schuldnerberatung kann hierzu helfen. Sie ist ein Kompetenzreservoir für Bankmarketing, Schuldenpräventive Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verbraucherschutz und Sozialarbeit. Deutschland hat mit der Diffamierung der Arbeitslosen als Drückeberger ein Jahrzehnt effektiver Bekämpfung von Arbeitslosigkeit vertan. Wir sollten mit der Diffamierung der Überschuldeten als ungebildet, ungewandt, arglos vorsichtig sein, damit dasselbe nicht bei der Überschuldung passiert und jeder Euro zur Armutsbekämpfung letztlich nur Wucherzinsen skrupelloser Kreditgeber bedient, wie wir es in den USA und England zunehmend beobachten können.
Deshalb wünschen wir uns kompetente Schuldnerberater, die mithelfen, Statistiken zu erstellen, Fallstudien zu liefern, Banken die notwendige Rückmeldung zu geben und sich gegen die Diffamierung der Armut als persönliche Schuld zur Wehr setzen. Das war an ihrem Beginn vor 20 Jahren noch eindeutig der Wille der meisten. Auch heute wissen die Praktiker, dass es Dummheit und Ignoranz überall gibt, auch bei Überschuldeten, dass damit aber der Unterschied zwischen Gunther Sachs und ihren Klienten nicht erklärt werden kann.

MITARBEIT AM REICHTUMS- UND ARMUTSBERICHT 2007 IST DRINGEND ERFORDERLICH

Die Bundesregierung wird, soweit zu hören ist, keine neuen Studien zur Überschuldung in Auftrag geben. Die neue Spitze im Familienministerium hat hier keine Prioritäten. Der nächste Armutsbericht wird zu den Ursachen wahrscheinlich schweigen und die Überschuldung als ungeprüfte Gesamtzahlen neben die Arbeitslosigkeit und das Sozialhilfeniveau stellen. Das Dogma von der Einkommensarmut und die Ignoranz gegenüber der Konsumarmut, bei der der Euro der Armen über Kredit armutsspezifische Dienstleistungen und Preise nur noch die Hälfte des Wertes des Euros der Reichen hat, wird wohl wieder den Bericht der Einkommensspezialisten dominieren und die Nation langweilen.

SCHUFA UND IFF WERDEN ÜBERSCHULDUNGSSTUDIEN VORLEGEN

Die Lücke in der öffentlichen Forschung wird 2006 mit einigen Zahlen kleiner gemacht, die die Wirtschaft zur Verfügung stellt bzw. deren Erhebung von der Wirtschaft finanziert werden. Die SCHUFA wird wieder ihren Schuldenkompass 2007 herausbringen, der Wohnort und Alter mit den Überschuldungsdaten verbindet. Das iff wird wird eine größer angelegte Untersuchung mit mehreren Schuldenberatungsstellen machen können, in der Ursachen der Überschuldung nach allen denkbaren Kategorien der Familie bis hin zur Kreditform ausgewertet werden können. Dies gibt Raum, noch vor dem offiziellen Armutsbericht die Diskussion voranzubringen, auch wenn das Geld für eine direkte Befragung Überschuldeter nirgends in Deutschland zur Verfügung gestellt wird.

WÜNSCHE AN DIE BAG-SB

Die beiden neuen Vertreter der Wohlfahrtsverbände in der Schuldnerberatung sind mit die wichtigsten Whistleblower im Konzert der Überschuldung. Sie tragen für den nächsten Armutsbericht der Bundesregierung die Verantwortung für ihre Klientel. Sie müssen die Wirtschaft in die Armutsbekämpfung einbeziehen: mehr und bessere Kredite zur Überbrückung von Liquiditätsproblemen, weniger Schulden, wo sie nur noch die Familien zerstören. Sie müssen gegen die Diffamierung der Überschuldeten sein und verhindern, dass in Schulen eine Ideologie der Familie Schuldenfrei gepredigt wird, die letztlich nur die skrupellosesten Geldverleiher schützt, weil sie die Menschen, die den Kredit brauchen, mit einer falschen Moral zur Selbstanklage bringt und wehrlos macht.