1. Keine sichtbaren Konsequenzen

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass sich der Fall der Lehman-Pleite in der Form nicht wiederholen wird und Rentnern ohne Erfahrung mit Finanzdienstleistungen als alleinige Anlage kein Einzelzertifikate mehr verkauft werden, erreicht das Volumen des Zertifikate-Marktes die alten Höhen. Es gibt keine Anzeichen, dass aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt wurde: Problematische Produkte wurden für den aktiven Verkauf an Privatkunden weder verboten noch eingeschränkt, bewusste Falschberatung ist an der Tagesordnung – kein Hinweis beim Verkauf offener Immobilienfonds auf deren Schließung in der Vergangenheit – den zweifelhaften Produkten und Vermittlern wird nichts entgegen gesetzt und neue Skandale sind absehbar, wie die vielfältigen dubiosen Angebote zum Beispiel zu „Gold-Produkten” und „nachhaltigen” Investments zeigen. Gleichzeitig werden Kunden von einem Produkt in das andere getrieben, um neue Provisionen zu kassieren, dies alles zu Lasten der Verbraucher und damit der Gesellschaft. Die Finanzbranche wird dieses Problem nicht aus sich selbst heraus lösen können. Die Ansätze der Politik sind nicht ausreichend und Impulse von der Aufsichtsbehörde zu erwarten, wäre eine Überforderung.

Es fehlt insgesamt der Wille bzw. der Mut, den gesamten Finanzdienstleistungsmarkt für private Kunden gesetzlich neu aufzustellen und einheitliche Qualitäts-, Haftungs- und Kontrollstandards inklusive angemessener Verjährungsregeln zu schaffen. Bessere Information für die Verbraucher ist zwar sinnvoll, aber nur ein Baustein und kann die bestehenden Probleme nicht allein lösen. Ein Konzept zum Verbraucherschutz muss weit darüber hinausgehen.

Völlig außer Acht gelassen wird, dass wir zwanzig Jahre der Liberalisierung hinter uns haben, die auch den Finanzmarkt betraf, und bisher eine Aufarbeitung nicht stattgefunden hat. Viele Geschäftsformen (Haustürverkauf) und Produkte (Börsentermingeschäfte), die bis dahin wirksam unterbunden waren, wurden in dieser Zeit erst in Deutschland erlaubt bzw. durch Gesetzesänderungen ermöglicht und die Verjährung für die Schäden aus der Anlageberatung radikal von 30 auf drei Jahre verkürzt, während man den Banken längere Verjährungsfristen großzügig beließ – z.B. zehn Jahre Hemmung gem. § 497 Abs. 3 S. 3 BGB. Die Folgen findet man teilweise in den Skandalen der letzten Jahrzehnte.

Gleichzeitig scheint die Anlageberatung in einem kontrollfreien Raum stattzufinden. Die Aufarbeitung erfolgt allein über einzelne Zivilprozesse, Zusammenschlüsse von Geschädigten und die Arbeit der Medien (Tests, Mystery-Shopping, Aufdeckung von Skandalen). Die Verkaufsmethoden scheinen sich nicht geändert zu haben und die gleichen Personen, die für die Skandale in der Vergangenheit mit verantwortlich sind, scheinen weiterhin ungehindert auf dem deutschen Markt aktiv zu sein, ohne dass die Aufsicht oder die Staatsanwaltschaft dagegen frühzeitig und wirksam einschreitet.

2. Trennung von Beratung und Verkauf

Eine Anlageberatung in unmittelbarer Verbindung mit dem Verkauf von Anlageprodukten führt beim Berater zwangsläufig zu einem Interessenskonflikt zwischen einer objektiven, aus Verbrauchersicht optimalen Beratung und dem Gewinn bringenden Verkauf der Produkte. Dies spricht für eine Förderung der unabhängigen Honorarberatung in Deutschland. Eine konsequente, ausnahmslose Trennung von Beratung auf Honorarbasis einerseits und dem Verkauf der Anlageprodukte andererseits erscheint derzeit jedoch nicht flächendeckend umsetzbar. Daher muss vor allem die Qualität der Anlageberatung bei Banken, Versicherungen und Strukturvertrieben im Sinne der Anleger sichergestellt werden.

3. Aufsicht für Verbraucher

Dazu wird eine wirkungsvolle Marktaufsicht benötigt, die sich für die Interessen der privaten Anleger einsetzt und insbesondere zeitnah und effektiv auf Probleme des Finanzdienstleistungsmarktes aus Sicht der Verbraucher aufmerksam macht, um Falschberatung und Betrugsfälle frühzeitig zu vermeiden. Es muss sichergestellt werden, dass eine möglichst objektive Anlageberatung im Sinne der individuellen Bedürfnisse von Kleinanlegern erfolgt und Produkte vertrieben werden, die mit der Risikobereitschaft und dem Sicherheitsbedürfnis der Anleger übereinstimmen. In diesem Zusammenhang sollten branchenweite Standards im Bereich der Qualifikation, Berufserfahrung, Haftung etc. festgelegt werden, die für alle Berater und Vermittler von Finanzdienstleistungen gelten. Ebenso sollte die Produktaufsicht ausgeweitet werden.

Notwendig ist eine unabhängige Institution, die diese Aufgabe in Deutschland wahrnehmen kann. In den USA hat man auf die Probleme in jüngster Vergangenheit mit der Schaffung einer Verbraucherschutzbehörde reagiert. In Europa und speziell Deutschland ist bisher nichts geschehen. Die BaFin ist für eine derartige Aufgabe schon aus strukturellen Gründen nicht geeignet, da ihre primäre Aufgabe ist, sich um die Sicherheit der Banken und die Stabilität des Finanzsystems zu kümmern. Verbraucherschutz schafft hier bei der BaFin, die in der Vergangenheit nicht müde war zu betonen, dass Verbraucherschutz nicht zu ihrem Aufgabenfeld gehört, Probleme bei der Abgrenzung und der Prioritätensetzung. Zudem hat sich die BaFin bisher sowohl bei den Verbraucherskandalen im Finanzdienstleistungsbereich und während der Finanzkrise nicht als wegweisend oder kompetent erwiesen. Besser ist es daher, eine derartige Aufgabe einer Behörde wie dem Bundeskartellamt zu übergeben oder dafür eine eigenständige Einrichtung zu schaffen.

4. Qualität der Anlageberatung

Anlageberater von Banken, Versicherungen und Strukturvertrieben sind aufgrund der Rechtsprechung dazu verpflichtet, anleger- und objektgerecht zu beraten. In der Praxis ist dies leider, wie Tests des Instituts seit 15 Jahren zeigen, selten der Fall. Immer wieder versuchen sich Anbieter darauf zurückzuziehen, dass ihre Mitarbeiter überhaupt nicht beraten hätten oder diese Grundsätze für ihre Branche nicht gelten würden.

Die Prinzipien einer anleger- und objektgerechten Beratung müssen daher branchenübergreifend verankert werden und von den privaten Kunden, sprich Verbrauchern, auch gerichtlich geltend gemacht werden können. Die bisherige Rechtslage im Bereich Bank-, Kapitalmarkt und Versicherungsrecht entspricht eher einem Schadensersatzverhinderungskonzept als einem Konzept, dass den Verbrauchern zu einem effektiven Rechtsschutz verhilft. Besonders bei langlaufenden Verträgen wie der Altersvorsorge und der Baufinanzierung sind Ansprüche bei einer Anlageberatung regelmäßig verjährt, bevor die Verbraucher den Schaden entdecken und beginnen, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Der Erfolg der Politik kann nicht an der Anzahl neuer Gesetze gemessen werden, sondern daran, inwieweit er in Zukunft Falschberatung wirksam verhindern kann. Angemessene Verjährungsregeln sind daher ein wesentlicher Bestandteil und können nicht durch zusätzliche Informationspflichten kompensiert werden.

Problematisch ist hier insbesondere die Verbindung von Strukturvertrieben in die Politik und Gerichtsentscheidungen, die Strukturvertriebe von der Rechtsprechung zu Kick-Backs ausnehmen wollen. Die Politik lässt so sehenden Auges „Strukkis” über das Land und durch Universitäten und Schulen ziehen, die eine ganzheitliche Beratung versprechen, sich bei Haftungsansprüchen dann aber hinter ihrem reinen „Vermittler-Status” oder der kurzen Verjährung zurückziehen. Dies geht auf Kosten der einzelnen Verbraucher, deren Altersvorsorge und schließlich auch auf Kosten der Gesellschaft, die später über die Grundsicherung einspringen muss.

Die Nähe der Branche zu den Politikern hat ein bedenkliches Ausmaß angenommen. Dass Mitarbeiter von Banken in der Vergangenheit Gesetzestexte abgefasst haben und an Bundesministerien „ausgeliehen” wurden, ist ebenfalls bedenklich. Hier ist die Politik gefragt, eine klare Trennlinie zu ziehen.

5. Fehlgeleitete Beratung gegen die Interessen des Verbrauchers muss unmöglich werden

Verbraucher müssen nicht nur unabhängige Beratung einfach erkennen können, Beratung gegen die Interessen der Kunden muss von Anfang an unmöglich gemacht werden. Dazu fehlt bisher ein grundsätzlicher Ansatz der Politik. Bisher sind sie den Finanzdienstleistern ungeschützt ausgeliefert und können nicht erkennen, in welchem Interesse eine Empfehlung erfolgt. Dies lässt sich nicht durch halbherzige Versuche von Teilen der Branche wie der Einführung von unverbindlichen Verhaltendskodices ändern. Vielmehr muss der Laie, wie die Rechtsprechung es auch seit Jahren einfordert, klar erkennen können, in wessen Lager die Person ihm gegenüber steht. Zudem muss Falschberatung entsprechende Sanktionen für die Unternehmen nach sich ziehen, die allein ihre Mitarbeiter wirksam kontrollieren können. Dazu reicht insbesondere das bisherige Verjährungsrecht nicht aus

Es mangelt auch nicht an gesetzlichen Vorgaben, sondern vielmehr an einer Umsetzung und wirksamen Kontrolle. Bis heute wurde zum Beispiel die mit der MiFID-Richtlinie in § 31 Abs.4 WpHG ins Wertpapierrecht übernommene Orientierung der Anlageberatung an den Anlagezielen der Kunden, der Bedeutung der Risiken und dem Verständnis des Kunden (siehe Schwintowski FS Hopt 2010,S. 2508 ff) in der Praxis nicht wirklich umgesetzt.

6. Bereinigung des Marktes sinnvoll

Von der Politik sollte überdacht werden, welchen Preis die Gesellschaft dafür zahlt, dass ein Heer angelernter, rein provisionsorientierter Personen Finanzdienstleistungen verkauft und die Bürger zu Finanzdienstleistungen „berät”. Laut FTD vom 10.11.2010 gibt es im Versicherungssektor in Deutschland etwa doppelt so viele Versicherungsvermittler wie niedergelassene Ärzte. Sinnvoller erscheint es, Finanzberatung langfristig auf einen Status wie Ärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte zu heben und vom Verkauf klar zu trennen. Die Konsequenz wird zwangsweise eine Marktbereinigung sein aber auch zu qualitativ höherwertigen Dienstleistungen in diesem Bereich führen, sei es durch Banken, einzelne Berater oder andere Finanzdienstleister. Für die Gesellschaft insgesamt wäre dies wahrscheinlich langfristig eine sinnvolle Investition.

Ein wesentlicher Schritt wäre auch gewesen, bei der Begrenzung der erfolgsabhängigen Einkommensbestandteile des Managements der Finanzunternehmen dem Rat des Bundesrates zu folgen und zugleich die Provisionen im Kundengeschäft am wirklichen und damit interessengerechten langfristigen Erfolg für den Kunden zu orientieren. (siehe dazu Stellungnahme des iff im Finanzausschuss).

7. Kapitalanlegerschutzgesetze

Zurzeit herrscht der Eindruck vor, als ob bei der Gesetzgebung in unnötig komplizierter Sprache lediglich punktuell auf Druck der Unternehmen gehandelt, die Notwendigkeit aber mit Verbraucherinteressen begründet wird. So erscheint der aktuelle Gesetzentwurf als Reaktion auf die Übernahmekrise zwischen VW und Porsche, für die die Pflichten zur Offenlegung von Anteilsrechten und zur Verhinderung feindlicher Übernahmen ebenso wie die Krise der offenen Immobilienfonds, nicht jedoch das Anlegerinteresse Pate gestanden haben. Hier werden allein neue Informationspflichten geschaffen, aber keine wirksame Kontrolle des Marktes.

Das Diskussionspapier ist im Vorfeld zu einem Fachgespräch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 12.11.2010 im Bundestag zum Thema „Konsequenzen aus der Lehman-Pleite für die Anlegerschutzpolitik” entstanden.