Insolvenz mit drei Geschwindigkeiten
Es gibt Neuigkeiten zur zweiten Stufe der Insolvenzrechtsreform. Die Bundesjustizministerin hat sich beim Deutschen Insolvenzverwalterkongress am 28. Oktober 2011 zum derzeitigen Stand geäußert. Geplant ist nunmehr eine Dreifach-Differenzierung der Restschuldbefreiungsdauer: drei Jahre für natürliche Personen in der Regelinsolvenz („Gründer”) und für natürliche Personen in der Verbraucherinsolvenz gegen eine Gläubigerbefriedigungsquote in Höhe von 25-Prozent; fünf Jahre für Verbraucher, die die Verfahrenskosten selbst tragen; weiterhin sechs Jahre für die übrigen Verbraucher. Die Verkürzung der Restschuldbefreiung soll die Betroffenen animieren, früher Hilfe zu suchen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Hierdurch soll auch die lange Wartezeit bis zum Besuch der Schuldnerberatung verkürzt werden, die nach den Erkenntnissen des iff-Überschuldungsreports, aus dem die Ministerin zitiert, aktuell 66 Monate beträgt.
Dreijährige Restschuldbefreiung nur gegen 25-Prozent-Quote
Trotz Kritik von Seiten der Schuldnerberatung besteht das Ministerium auf der Einführung einer Mindestbefriedigungsquote der Gläubiger in Höhe von 25 Prozent bei Verbraucherinsolvenzen. Eine generelle Halbierung der Restschuldbefreiungsdauer hält das Ministerium im Hinblick auf Gläubigerinteressen für „verfassungsrechtlich bedenklich”. Verfassungsrechtliche Bedenken lassen sich aber auch im Hinblick auf die nunmehr geplante Ungleichbehandlung verschiedener Schuldnergruppen anführen: Gerade denjenigen, die einen Neustart aus eigener Kraft besonders benötigen, wird es aus überobligatorischen Anstrengungen – bei allem guten Willen – oft nicht möglich sein, diese Quote zu erreichen. Wer etwa als arbeitsloser Single mit 26.000 Euro Schulden 850 Euro an Arbeitslosengeld II bekommt, müsste monatlich etwa 180 Euro zurücklegen, wenn er innerhalb von drei Jahren die Quote erfüllen möchte. Bei einer Miete von 500 Euro blieben ihm zum Leben dann noch monatlich 170 Euro. Bei den besonders gefährdeten Überschuldeten in Armut – denjenigen, mit hohen Bildungsdefiziten, den Kranken und den Alleinerziehenden – hinge es also vom Zufall ab, durch familiäre Unterstützung, durch Privatdarlehen oder Erbschaften, die Quote zu erreichen. Zufall ist kein Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung ansonsten vergleichbarer Sachverhalte. Umgekehrt wird die Regelinsolvenz natürlicher Personen privilegiert. Die Gründe, die für die vorbehaltslose Verkürzung dort angeführt werden (Mut zum Aufbruch, Anfängerfehler etc.) gelten vergleichbar auch für die übrigen Verbraucher, zumal die Grenzen zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung immer mehr verfließen.
Fünfjährige Restschuldbefreiung nur gegen Tragung der Verfahrenskosten
Den übrigen Überschuldeten wird eine Verkürzung der Restschuldbefreiung auf fünf Jahre in Aussicht gestellt. Es ist zu erwarten, dass diese Neuregelung einem größeren Teil der Schuldner zu Gute kommen wird, weil die Kosten, verteilt auf fünf Jahre, eher als tragbar erscheinen (gut 40 Euro monatlich bei Kosten in Höhe von 2500 Euro). Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung und nähert die Dauer dem europäischen Durchschnitt an. Damit wäre Deutschland jetzt auf etwa einem Stand mit Norwegen, Schweden, Tschechien, Estland, Portugal und Polen; kürzere Verfahrensdauern haben Dänemark, Belgien, Slowenien, Griechenland, Slowakei, Litauen, die Niederlande und das Vereinigte Königreich (Präsentation zu Verbraucherinsolvenzregelungen in Europa anliegend).
Sechsjährige Restschuldbefreiung für die übrigen Überschuldeten
Für diejenigen, die auch die Verfahrenskosten nicht tragen, wird es bei den sechs Jahren bleiben. Es ist zu erwarten, dass diese Gruppe diejenige mit den größten Schwierigkeiten sein wird. Will man diesen Personen helfen, muss die lange Verfahrensdauer zwingend mit weiteren Hilfs- und Beratungsangeboten gekoppelt werden: hierzu gehören Angebote zu schulischer und beruflicher Bildung ebenso wie familiäre Unterstützung und psycho-soziale Hilfsangebote. Die Schuldnerberatung kann hier vermitteln, braucht dazu aber mehr Kapazitäten, deren Finanzierung gesichert sein muss.
Evaluation der Auswirkung der Gesetzesänderung erforderlich
Den Worten der Ministerin zur Folge liegt der passende Gesetzentwurf auf ihrem Schreibtisch. Es ist also zu erwarten, dass die oben skizzierten Regelungen dem Entwurf entnommen und nicht mehr verhandelbar sind. Umso wichtiger wird daher eine kritische Evaluation der Gesetzesänderung sein, um insbesondere zu erforschen, wie vielen und welchen Überschuldeten eine Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre gelingt.