Von Michael Knobloch

Udo Reifner ist im März 1948 in Neukirchen geboren. Die Eltern betrieben ein Internat für „schwer erziehbare“ Jungen und Reifner lernte – ausgestattet mit einer hohen sozialen Intelligenz – sehr früh, was es bedeutet, das Zusammenleben zu organisieren und die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Aus dieser Zeit mag auch sein Talent stammen, Dinge zu strukturieren und zu entscheiden, um so Zeit und den Raum für die eigene Kreativität und für Ideen zu schaffen. Entscheidungsstärke, Struktur, ein unangepasstes Denken und Kreativität sind Fähigkeiten, mit denen Udo Reifner reichlich ausgestattet ist und die er immer wieder in den verschiedensten Abschnitten seines Lebens eingesetzt und stets weiterentwickelt hat.

Dass Reifner überhaupt seine akademische Karriere starten konnte, war ihm nicht vorgezeichnet. Anfang der 1970er Jahre sah alles danach aus, als ob er zu unangepasst für den Berliner Hochschulbetrieb sei. Seine Eigenständigkeit machte ihn für das Establishment suspekt. Er ließ sich nicht zuordnen. In seiner Abschiedsvorlesung an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik brachte Udo Reifner es so auf den Punkt:

Mein soziales Engagement war nie sozialdemokratisch, meine christliche Überzeugung nie christdemokratisch, der liberale Grundgedanke, der mich besetzt hält, hatte selten etwas mit der Partei der Besserverdienenden gemein, meine Bewunderung vor allem der methodischen Frühschriften von Marx und Engels waren eher Argument gegen als für eine kommunistische Partei.“((https://www.iff-hamburg.de/2012/07/09/news-48098/ , S. 5.))

Insofern war es auch aus seiner Sicht eine glückliche Fügung, dass die HWP einem „arbeitswütigen 68er“((A.a.O)) eine Professur anbot. Dabei war Reifner diese Aufgabe allein schnell nicht ausreichend, um sein Potential auszuschöpfen. Bis zu seiner Pensionierung wirkte er seit 1981 nicht nur über 30 Jahre als Professor für Rechtswissenschaften an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, die zu seinem Leidwesen im Jahr 2005 mit der Universität Hamburg fusionierte und 2009 aufgelöst und in die Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg eingegliedert wurde. Gleichzeitig war und ist er seit 1987 in „seinem“ Hamburger institut für finanzdienstleistungen e.V. – dem iff – tätig, als dessen Gründer er über lange Jahre die Geschäftsführung inne hatte und dem er auch heute noch eng verbunden ist. Daneben war er immer wieder als Gastprofessor im Ausland tätig, in Amerika und zuletzt – „im Exil“ , wie er es in seiner Abschiedsvorlesung an der HWP((A.a.O., . S. 1.)) bezeichnete – in Trento/Italien.

Ähnlich vielfältig wie die Wirkungsorte sind die Disziplinen, in denen sich Udo Reifner beruflich umtat und umtut. Als wäre eine Juraprofessur an der Universität Hamburg nicht genug gewesen, versteht er sich vor allem als Soziologe und empirischer Sozialforscher. In seinen Projekten zur Aufarbeitung des Unrechts des Nationalsozialismus kommen sein historisches Interesse und Engagement gegen Unrecht und Unterdrückung zum Ausdruck. Daneben ist Udo Reifner auch ein EDV-Pionier. Er betätigte sich in den 1980er Jahren als Programmierer einer Software zur rechnerischen Überprüfung von Finanzdienstleistungen und setzte die erste professionelle Schuldnerberatungssoftware aufs Gleis.((http://www.cawin.de/)) In sein EDV-Programm „Finanzcheck“ floss neben den juristischen Kenntnissen zudem seine finanzmathematische Expertise ein, welche ihm – spät aber nicht zu spät – einen Aufsatz im Archiv der civilistischen Praxis (AcP) einbrachte ((Zinsberechnung im Recht, in: Archiv fuer die civilistische Praxis, Vol. 214, No 5, October 2014, pp. 695 – 745.)) Die Software wird aktuell von der Verbraucherzentrale Hamburg genutzt.

Immer wieder war Reifner auch als Krisenmanager gefragt. So hat er in seiner Rolle als Vorstand und Vordenker maßgeblich dazu beigetragen, dass der Anfang der 90er Jahre erzwungene „Beinahe-Konkurs“ der Verbraucherzentrale Hamburg abgewendet werden konnte. Aus seinem Büro heraus wurden Rettungskampagnen organisiert und in dieser Zeit wurden langjährige Freundschaften und Koalitionen zum Hamburger Verbraucherschutz verfestigt.

Die Vielfalt der Disziplinen sollte nicht zu dem Schluss verleiten, die Themen und Inhalte Reifners seien beliebig und er springe quasi von einer Mode zur Nächsten. Das Gegenteil ist der Fall. In seinem Wirken findet sich ein roter Faden, der mit „Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen“ bezeichnet werden kann. Sehr eindrücklich kommt das in der Satzung des iff zum Ausdruck, die zum Zweck des Vereins ausführt:

Der Verein fördert den Gedanken des Verbraucherschutzes im Bereich der Finanzdienstleistungen (…), die den Anbietern von Finanzdienstleistungen strukturell unterlegen sind und eines besonderes Schutzes bedürfen. Er erarbeitet Grundlagen und Instrumente für eine sozial und ökologisch verantwortliche Geldwirtschaft und setzt sich für ein sozial gerechtes Wirtschaftssystem ein. Er fördert die internationale Zusammenarbeit zum Schutze der Verbraucher und kleinen Unternehmen.“((https://www.iff-hamburg.de/iff/verein/satzung/))

An diesen Themen hat sich Udo Reifner Zeit seiner beruflichen Karriere abgearbeitet, gerieben, sie diskutiert und Impulse gesetzt. Es war und ist ihm dabei ein stetes Bedürfnis, die Rolle der Finanzdienstleister und Finanzdienstleistungen in den Mittelpunkt zu stellen und dort verursachte Probleme aufzuzeigen und Veränderungen von den Anbietern und der Gesetzgebung einzufordern. Udo Reifner hat sich dadurch oft gegen den Mainstream gestellt, der eher Verhaltensänderungen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern einforderte, als die Rolle der Anbieter kritisch zu beleuchten.

Zentral ist dabei die Analyse der privaten Überschuldung und der Situation überschuldeter Personen. Die Überschuldung als „moderne Form der Armut“, wie Reifner sie einmal bezeichnet hat, ist für ihn primär nicht das Verschulden der Privathaushalte, sondern ein Versagen der Finanzdienstleistungen und deren Anbieter. Die Erforschung der Überschuldung stand daher auch lange Jahre im Mittelpunkt von Reifners Arbeiten. Bereits 1978 legte er seine – von ihm selbst als „etwas dicklich“((Siehe Fn 1, S. 4.)) bezeichnete – Dissertation zum Thema „Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung“ vor, deren Untertitel lautet: „Realitätsverleugnung oder soziale Ausgrenzung im Zivilrecht“.

Das Werk ist immer noch aktuell. Am dort beschriebenen Problem der Finanzdienstleistungen und des Rechts, für typische Lebenskrisen, wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Tod keine adäquaten Lösungen parat zu haben, hat sich seither zwar einiges zum besseren geändert: Mit Freude erzählt Reifner etwa von seinen Telefonaten mit dem seinerzeit zuständigen Ministeriumsmitarbeiter, mit dem er über die Grenze zu den Verzugszinsen verhandelte, die dann Gesetz wurden. Ohne ihn würde auch der effektive Jahreszins als einheitliches Preisschild von Krediten nicht so, wie er heute ist. Reifners Arbeiten haben einen entscheidenden Anteil daran, dass der Gedanke des sozialen Verbraucherschutzes nicht in Vergessenheit geraten ist, Menschen im Verzug vor überbordenden Zinsen geschützt sind oder Kredite flexibler und krisenfreundlicher geworden sind. Dessen ungeachtet ist der Idealzustand aber aus der Sicht Reifners – was nicht weiter verwundert – noch lange nicht erreicht. Der Weg ist für ihn das Ziel, dass er beharrlich weiter verfolgt, wie zuletzt im „Bündnis gegen den Wucher“((https://www.vzhh.de/themen/finanzen/schluss-wucher))

In den letzten Jahren arbeitet Reifner daran, seine Erkenntnisse zum Konsumentenkredit und zur Überschuldung zu verallgemeinern und gemeinsam mit anderen Prinzipien der von ihm so bezeichneten sozialen Dauerschuldverhältnisse in Mietrecht, Arbeitsrecht und Kreditrecht herauszuarbeiten.(((2014) (Hrsg) Life Time Contracts. Social Longterm Contracts in labour, tenancy and consumer credit. Den Haag: Eleven, 2014.(together with Luca Nogler.))) Zudem veröffentlichte er sein dreibändiges Werk „Das Geld“, zu dem er schreibt:

Das Werk betrachtet das Geld und seine Nutzanwendungen aus ökonomischer, soziologischer und juristischer Sicht. Es erscheint darin vieles umgedreht. So wechselt derjenige, der Geld verschenkt nur die Gläubiger aus, nicht aber die Schuldner. Man muss auch Geld gar nicht haben, sondern nur darüber verfügen können, da man dem Geld nicht ansieht, wem es gehört. Es reicht daher zur Teilhabe, dass man darüber verfügt. An die Stelle des Geldbesitzes tritt Liquidität und Kreditwürdigkeit. Die Verschuldung ist dann nicht Problem sondern Chance.“

Wichtig war und ist Reifner immer, empirisch informiert zu sein. Er steht damit in der Tradition des amerikanischen Soziologen David Caplovitz. Wie sein Freund David, den er in New York in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennenlernte, kennt Reifner das Ergebnis seiner Forschung oft schon, bevor er die empirische Evidenz dazu erhoben hat. Bei der Nutzung digitaler Daten aus der Konsumentenberatung für die Forschung ist Reifner Pionier. Er war der erste, der Daten aus der Schuldnerberatung automatisiert und im großen Stil nutzbar machte. An weiteren Ideen mangelt es ihm nicht; wobei es bei Reifners Inspirationen erfahrungsgemäß etwas Zeit braucht, bis diese verstanden umgesetzt werden.

Wichtig ist Reifner auch der interdisziplinäre Ansatz. Gesellschaftliche Probleme sind komplex und verlangen nach fächerübergreifenden Lösungen. Reifner hat das früh erkannt, macht dies mit seiner eigenen Person vor und umgibt sich mit einem bunten Mix verschiedener Professionen. Er hat sich dabei nie als Solitär, sondern immer als Teamplayer gesehen, der in kleinen und großen Gesellschaften seine Ansichten mit Nachdruck kundtut. Generationen von Studenten in Amerika, Italien und vor allem in Hamburg können das bestätigen. Viele erinnern sich noch nach Jahren an ihren meinungsstarken Professor, der ihnen einen neuen, anderen Blick auf als selbstverständlich erachtete Zusammenhänge ermöglicht hat und sie gleichzeitig an ihre eigenen Grenzen und darüber hinaus geführt hat. Legendär sind auch die wöchentlichen Institutsrunden im iff e.V., bei denen er den Bogen zur allgemeinen Verblüffung von den Finanzdienstleistungen über Politik, Philosophie, Musik und wieder zurück zu den Finanzdienstleistungen spannen konnte.

Reifner ist ein Multitalent. Er spricht Englisch, Französisch und Italienisch und ist international gut vernetzt. Auch daher gelingt ihm immer wieder der Blick über den Tellerrand. Mit seinem Klavier- und Geigespiel hat er manchen Strategietag des iff bereichert und mit seinen ad hoc vorgetragenen Gedichten für Heiterkeit gesorgt.

Reifner ist als pointierter Verbraucherschützer weltweit bekannt und gefragt. Bei Google finden sich mehr als 40 Tausend Suchergebnisse zu seinem Namen. Seine aktuelle Publikationsliste umfasst hunderte Studien, Bücher und sonstigen Veröffentlichungen((www.iff-hh.de/media.php?id=2174)), die er zumeist in Projekten seines iff verfasst oder mitverfasst hat. Darunter auch Titel, die selbst bei ihm überraschen, wie „der musikalische Floh“, einem Kinderbuch, welches er geschrieben und die Jüngste seiner drei Töchter illustriert hat.((http://www.amazon.de/musikalische-Floh-Pascale-Reifner/dp/3732230031)) Geld ist für Reifner zwar viel, aber eben nur Mittel zum Zweck eines glücklichen, selbstbestimmten und kommunikativen Lebens, welches Udo Reifner im Kreis seiner Familie mit drei Kindern und mittlerweile vielen Enkeln als zugewandter und liebevoller Großvater lebt.

Udo Reifner hat im Laufe seines langen Wirkens viele Weggefährtinnen und Weggefährten inspiriert und teilweise auch irritiert und tut dies auch heute. Er hat stetig den Funken seiner „reifnerischen“ Sichtweise verbreitet und die Welt der Finanzdienstleistungen ein bisschen gerechter und sozialer gemacht. Mich hat er damit angesteckt.

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Managing Gemeinnützigkeit – Ein Rückblick

Comment by Udo Reifner

Was für ein Lebenslauf getextet von einem Partner, der mich gut kennt. Meine eigene Sicht wäre kritischer ausgefallen. Zwischen seinem Kreislauf von der Verbraucherzentrale Hamburg zum iff (zuletzt als iff-Geschäftsführer) und wieder zurück diesmal an die Spitze der VZ lagen Jahre der fruchtvollen Zusammenarbeit.

Diese Struktur war schwer errungen. Auch hier hatte es viele Experimente gegeben. Das eigentlich stabile Gefüge kam erst spät. Michael Knobloch war der letzte Geschäftsführer vor Übergabe an meinen Nachfolger. Deshalb hier ein paar Bemerkungen zum Werdegang der Organisation, für die ich teilweise im Vorstand und teilweise als Direktor arbeitete.

Begonnen hatte es nach Jahren meiner überwiegend gleichzeitigen Mitarbeit in der hierarchisch organisierten juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin einerseits und dem US-amerikanisch orientierten Science Center – Institute for Management, das mit offenen Türen, flachen Hierarchien, Englisch als Sprache und einer Freiheit, bei der die Inanspruchnahme von Ressourcen nicht 5 Monate vorher, sondern im Nachhinein beantragt werden konnte, der krasse Gegensatz zur FUB war. Doch es gab einen Wermutstrophen mit großer Bedeutung: die Stellen für junge WissenschaftlerInnen waren alle auf 1-3 Jahre befristet wurden bei vorhandenen Mitteln aber verlängert. Die Abhängigkeit von Folgeaufträgen brachte vieles von dem durch freiwillige Unterwerfung, was im universitären Beamtenrecht von oben angeordnet wurde. Ich habe das später bei meinen Gastprofessuren in den USA wieder erlebt.

Nach dem Wechsel nach Hamburg 1981 arbeitete ich meine mitgenommenen rechtssoziologischen Projektaufträge noch in der SPD-orientierten Hochschule ab. Das war ein Erlebnis der besonderen Art. Man musste sich dort von der Verwaltung als Arbeitshetzer, von den Studierenden als Rüstungsforscher und von den KollegInnen als Privatier beschimpfen lassen. Man sollte bei der Personalauswahl interne Kandidaten bevorzugen, musste den „Kollegen Computer“ mangels Vereinbarung mit dem Personalrat wieder abschaffen und 7 Monate auf verschollene Projektmittel warten, weil die Zahlungen aus dem Ministerium unauffindbar falsch verbucht waren. Dafür diskutierte man 3 Stunden mit 15 Dozenten, wer den noch verrfügbaren Reisekostenzuschuss von 500 DM bekommen sollte, bis er nach dem Prinzip, „wer hat noch nicht, wer will noch mal“ zugeordnet werden konnte. EU und BMJ waren zufrieden, als sie es nur noch mit einem e.V. zu tun hatten.

Das iff, das durch Umbenennung aus dem verwaisten Arbeitskreis Rechtssoziologie e.V. hervorgegangen war, stellte dann den Versuch dar, beide Nachteile zu vermeiden. Es sollten unbefristete Verträge, Unkündbarkeit, Basisdemokratie einerseits mit Effizienz und Eigenverantwortung ohne Bürokratie verbunden werden. Alles wurde abgestimmt. Nur eine Gegenstimme sollte genügen, wenn es nicht gelang, sie in eine Tolerierung der Mehrheitsmeinung umzustimmen. Der Direktor durfte nichts verdienen gab aber den Ton an, die Geschäftsführung sollte halbjährlich rotieren, viele kleine Projekte sollten große Abhängigkeiten verhindern und eine stetige Liquidität sichern. Die Drittelung der Erträge zwischen Service, Software und Science war Freiheitsgarantie.

Schon die zweite Geschäftsführerin wurde jedoch von der Rotation befreit. Bianca Haane war mit ihrer Erfahrung und ihren Managmentkenntnissen für alle unersetzlich. Ihre Karriere als Frau in Führungspositionen der NATO in Brüssel zeigt wohl auch heute noch, dass das keine Momentaufnahme war. Mit Imageberatern und -broschüren, kommunikativer Gestaltung der Räumlichkeiten in der Burchardtstraße, Raucherlaubnis nur in einem fensterlosen Zimmer und ansatzweise leistungsdifferenzierter Bezahlung sah das iff nach außen plötzlich wie ein modernes Unternehmen aus. Doch chaotische finanziell verlustbringende Forschung war weiterhin möglich. Deren Integration war für sie eine Herausforderung. Sie mischte sich nicht in Inhalte ein, versteckte keine Konzepte in der Mittelbewirtschaftung und unterschied nicht zwischen Cash-Cows und Looser Projekten. Sie konnte der marktwirtschaftlichen Versuchung widerstehen, was mir nur gelang, weil der Verein mich davon durch das satzungsmäßige Verbot privater Vorteilsannahme zwangsbefreit hatte. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir im Kapitalismus leben. Kapitalismus ist keine alternativlose Maschine, sondern eine Handlungsoption. Sie überlebt ihre Krisen, weil es letztlich doch allzu viele gibt, die an seinem Krankenbett stehen und ihn mit nachhaltigeren Optionen halbwegs überlebensfähig halten.

Meine designierten Nachfolger damals um 2000 konnten den unternehmerischen Versuchungen nicht widerstehen. Ich schrieb für sie Businesspläne, die dann mangels Kostendeckung abgelehnt wurden. Wir trennten uns viel zu spät. Doch ihre Prophezeiung, dass wir ohne diese betriebswirtschaftliche Ausrichtung bald bankrott sein würden, erfüllte sich nicht. Auch Price Waterhouse, deren Testat wir uns als Schutzschild leisteten, gaben ihren oft wi4ederholten Ratschlag auf, wir sollten uns in eine anständige GmbH umwandeln. Sie fanden schließlich, dass ein unternehmerisch handelndes Institut nach dem Kostendeckungsprinzip funktionieren kann, wenn es das Gewinn- durch das Liquiditätsprinzip ablöst und von engagierten MitarbeiterInnen wie Kunden getragen wird.

Es war wohl kein Zufall, dass in der Geschäftsführung mit Achim Tiffe und Michael Knobloch nach einigen kurzfristigen Versuchen zwei Juristen folgten. Sozial engagierte JuristInnen lernen leichter Managementfunktionen auszuüben als Manager, das Gemeinnützige von Forschung und Rechtsentwicklung integrieren zu können. Das ist nicht in Stein gemeißelt. Unsere Liquiditätsberechnung beruhte auf einem Excelprogramm, das wir selbst erarbeitet und als Chefsache für 24 Monate im Voraus für alle zugänglich führten. Alle auch die Personalkosten waren darin konkret aufgeschlüsselt und einsehbar. Darin konnte man Profit- und Loss-Centers erkennen. Beides musste begründet werden. Eine Priorität gab es nur für das Gesamtinstitut, das überleben musste.

Es gehört zu den Erfahrungen aus einem Institut ohne Grundfinanzierung und garantierte Auftraggeber, dass jede Struktur von den Fähigkeiten, Stärken und Schwächen der Personen abhängt, die es bestimmen. Mit Michael Knobloch stimmte die Konstruktion. Die Zukunft ohne diese Mischung aus universitärer und privater Bezahlung des Duumvirats ist schwierig zu gestalten. Das zeigt der Mangel an ähnlich strukturierter freier Forschung. Wir konnten kein vergleichbares Institut identifizieren. Nötig wäre dies aber in vielen Bereichen.

Die Universitäten könnten viel bewirken. Statt ihre Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dafür zu belohnen, dass sie sich möglichst teuer verkaufen, sollten sie über Anreize nachdenken, wie man HochschullehrerInnen darin unterstützt, ohne finanziellen Eigennutzen flexible Forschungseinheiten außerhalb der Universität zu gründen, die dann mit Kooperationsverträgen mit der Universität so verbunden sind, wie es das iff mit den Universitäten Hamburg, Rostock, Trento und Santiago de Compostella war. #stattdessen kündigten sie den Kooperationsvertrag mit der Bemerkung, dass man sich doch keine Konkurrenz ziehen wolle. Großunternehmen gehen mit ausgegründeten start-ups häufig den umgekehrten Weg. Dass mein Gehalt ausschließlich von der Universität Hamburg kam und ich das Recht hatte, meine Forschungskapazitäten dem iff zu „schenken“, haben wir weit über Hamburg hinaus sichtbar der Universität zurückgezahlt. Dort wurde der Einfachheit halber oft das iff der Universität zugeordnet. Dass die Ratingagenturen das mit ihrer Buchhaltung nicht taten, hat ja nicht bedeutet, dass wir für Hamburg Forschung nicht international Werbung machen konnte. Schließelich war der Forschungsetat des iff zweitweise größer als der gesamte Etat der Fakultätsetat. Unsere Auftraggeber in Brüssel und Berlin wußten unsere Flexibilität und Pünktlichkeit es zu schätzen.

Konkurrenten waren daher selten die Universitäten dafür aber die Unzahl des Lobby-Forschungsinstitute, die kaum getarnte Unternehmensberatungen waren.