Kommentar zu: Reifner, Udo, Risiko: Streuung oder Spekulation?, erschienen in: Das Geld, Band 1: Ökonomie des Geldes, Teil F: (S. 233-289), Seite 279f, Fußnote 441.((Der Text entstand im Zusammenhang mit einer Masterarbeit am Lehrstuhl für ABWL und Internationale Finanzierung, Prof. Dr. Matija Mayer-Fiedrich, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.))
von Daniel Dönch

 

Der Beitrag von Herrn Reifner mit dem Titel „Risiko: Streuung oder Spekulation?“ behandelt auf Seite 279f in Fußnote 441 die Thematik der Agrarspekulation. Hier werden Investmentbanken wegen ihrer Finanzmarktspekulationen „mitschuldig an der Hungerkrise der Welt“ gemacht. Es werden zwar auch die positiven Effekte von Warenterminkontrakten kurz erwähnt, doch bleiben weitere für den Hunger in der Welt mitverantwortliche Determinanten unberücksichtigt.

Im Text wird dargelegt, dass Herr Reifner und die Organisation „Food Watch“ die Spekulation von Großbanken für die steigenden Nahrungsmittelpreise verantwortlich machen. Dies geschieht nach Ansicht der Autoren mittels „Wetten“ auf die Preisentwicklung von Agrar-Rohstoffen durch die Investmentabteilungen der Banken. Das Handeln der Banken kann natürlich als Spekulation aufgefasst werden, jedoch würde dann unberücksichtigt bleiben, dass, wenn Banken die Chancen und Risiken schwankender Agrarrohstoffpreise nicht aufnehmen würden, diese bei den weit weniger diversifizierten Agrarrohstoffproduzenten verbleiben würden. Würden die Agrarrohstoffproduzenten ihre Risiken behalten und sich die Agrarrohstoffpreise aus ihrer Sicht negativ entwickeln, würden einige Agrarrohstoffproduzenten ihre Produktion eventuell einstellen (müssen) und das Nahrungsmittelangebot würde sich weiter verknappen. Somit dient einerseits die Spekulation oder besser die Übernahme kurzfristiger Risiken der Banken dem langfristigen Ziel den „Hunger in der Welt“ zu reduzieren. Und andererseits stellt sich angesichts der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung und der zeitgleich stattfindenden täglichen Reduktion der landwirtschaftlichen Anbaufläche die Frage, in wie weit die Spekulation mit Agrarrohstoffen überhaupt dem Risikoaspekt einer Spekulation gerecht wird?

Entfernt man sich von den finanzwirtschaftlichen Aspekten, kommt man zwangsläufig zu weiteren die Agrarrohstoffpreise beeinflussenden Determinanten. Um wissenschaftlich fundiert fortzufahren werden im Folgenden die in der Literatur genannten fundamentalen Einflüsse auf Agrarpreise diskutiert. Es stehen die Determinanten im Fokus, welche in Form von Wechselwirkungen zwischen Angebot- und Nachfragefaktoren für Preisspitzen bei Agrarrohstoffen allgemein verantwortlich gemacht werden. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind sicherlich Lagerbestände und Nachfrageschocks sowie die steigende Nachfrage nach Biokraftstoffen. Aber auch das Wetter, steigende Energiepreise, der Klimawandel und abnehmende Forschungsausgaben tragen zu steigenden Agrarrohstoffpreisen bei.

1. Lagerbestände und Nachfrageschocks

Zum Aufbau von Lagerbeständen wird das aktuelle Angebot verringert um zu einem späteren Zeitpunkt die Nachfrage befriedigen zu können. Lagerbestände erfüllen somit den Zweck eines Risikopuffers in Zeiten geringen Angebots und hoher Nachfrage, können allerdings auch zu spekulativen Zwecken eingesetzt werden. Wie sich der Umfang der Lagerbestände auf die Höhe der Agrarrohstoffpreise auswirkt, hängt von der Preiselastizität der Nachfrage ab((Wright (2009), (2014).)).

Wird der Lagerbestand zum Verbrauch ins Verhältnis gesetzt erhält man den Stock-to-Use Quotienten, welcher die Knappheitsverhältnisse auf den Rohstoffmärkten angibt und einfache Preistrendprognosen ermöglicht. Der Bereich starker Preisreaktionen liegt für Weizen und Mais bei 20 % bzw. 12 %((OECD-FAO (2014).)).

Der Stock-to-Use Quotient ist in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich gefallen. Dies liegt einerseits an niedrigen Produktionsniveaus, einer sinkenden Produktivitätsentwicklung und dem Abbau globaler Lagerbestände, und andererseits an einem stetig steigenden Verbrauch von Agrarrohstoffen. Diese Situation bedingt eine hohe Preiselastizität, so dass Angebots- und Nachfrageschocks zu einer hohen Volatilität von Agrarrohstoffpreisen führen können((Tangermann (2011).)).

2. Wachsende Nachfrage nach Biokraftstoffen

Biokraftstoffe werden aus nachwachsenden Rohstoffen wie Ölpflanzen, Getreide, Zuckerrohr und Mais hergestellt((Wright (2014).)). Aufgrund ihrer ausgeglichenen Klimabilanz (Kohlenstofffreisetzung bei Verbrennung = Kohlenstoffbindung im Wachstumsprozess), ist die weltweite Nachfrage (vor allem in den USA und der EU) nach Biokraftstoffen seit 2005 rapide gewachsen und wird als Ursache für die gestiegenen Agrarrohstoffpreise bei gleichzeitig höheren Lagerbeständen gesehen. Die Einführung von Biokraftstoffen binnen kürzester Zeit hatte einen beträchtlichen Einfluss auf die Preisentwicklung von Agrarrohstoffen und veränderte somit Angebot und Nachfrage innerhalb kürzester Zeit((Wright (2014).)).

Die Produktion von Agrodiesel wurde weltweit von 7,1 Milliarden Liter in 2006 auf ca. 31,6 Milliarden Liter in 2015 gesteigert. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Produktion von Ethanol von 53,8 auf 116,4 Milliarden Liter((OECD-FAO (2015).)). Allein in den USA versechsfachte sich die zur Ethanolproduktion verwendete Maisernte von 2000 bis 2015((USDA (2016).)). In Deutschland wird rund ein Fünftel der Ackerfläche für den Anbau nachwachsender Rohstoffe in Anspruch genommen (Stand 2014). Dies entspricht ungefähr einer Verdreifachung von 2002 bis 2014((FNR (2014).)). 360 kg Mais haben in verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Stellen- bzw. Nährwert. So können in Westeuropa oder Nordamerika 360 kg Mais zur Produktion von 50 Litern Bioethanol genutzt werden, was ungefähr dem Tankvolumen eines durchschnittlichen Mittelklasse PKW´s entspricht. Wohingegen in Mexiko oder Sambia ein Kind von 360 kg Mais ein Jahr lang leben kann((tagesschau.de-Interview (2012).)).

Die Einführung von Biokraftstoffen und die damit gestiegene Nachfrage nach Agrarrohstoffen werden den Agrarrohstoffmarkt aufgrund ihrer fehlenden Saisonalität und Regionalität langfristig beeinflussen((Wright (2014).)).

3. Einfluss des Wetters

Trockenheit und Nässe führen zu Ernteausfällen und steigenden Preisen von Agrarprodukten. Günstige Witterungsbedingungen erhöhen die Ernteerträge und wirken preissenkend((Tangermann (2011).)). Zumeist treten Dürren, Trockenheit, Überschwemmungen und andere Katastrophen regional auf, wodurch eine unterdurchschnittliche Ernte in einem Teil der Welt durch eine überdurchschnittliche Ernte in einem anderen Teil der Welt global betrachtet ausgeglichen werden kann((Bohl et al. (2015).)). Regional sollten schwankende Ernteerträge jedoch durch den Auf- oder Abbau von Lagerbeständen ausgeglichen werden. 2007/2008 führten kumulierte Ernteausfälle auf mehreren Kontinenten zu einem enormen Preisanstieg gefolgt von einem Preiseinbruch aufgrund hoher Ernteerträge in 2009((Tangermann (2011).)). Seitdem liegt der Preis für Lebensmittel jedoch rund 50 Prozent höher als in den 1990er Jahren und zu Beginn der 2000er Jahre.

4. Steigende Energiepreise

Die Preise von Rohöl und Agrarrohstoffen entwickeln sich spätestens seit Beginn der 2000er nahezu parallel. Dies liegt zum einen am hohen Energieinput für die Produktion von Agrarrohstoffen und zum anderen an der bereits erwähnten Nutzung von Agrarrohstoffen als Öl-Ersatz. Steigende Energiepreise wirken besonders bei der Produktion von (auf Erdölprodukten basierender) Düngemitteln, dem Transport sowie dem Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen kostensteigernd((Mitchell (2008).)).

5. Klimawandel

Der Klimawandel, langfristig verursacht durch einen steigenden Anteil Kohlenstoffdioxid, Methan und andere Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre, hatte für bisherige Analysen der Preisdynamik auf den Agrarrohstoffmärkten nur eine geringe Bedeutung und konnte somit als Einflussfaktor vernachlässigt werden. Langfristig jedoch wird die Erderwärmung vor allem in Regionen semiariden Klimas die Ernteerträge von Mais, Reis, Weizen und anderer Primäragrarrohstoffe signifikant verringern. Vor allem entwicklungsschwache Länder in Südamerika, Afrika, Ozeanien und Süd bzw. Süd-Ost Asien werden in Zukunft mit Ernterückgängen rechnen müssen und können diesen nicht wie etwa die USA oder Australien mit technologischen Möglichkeiten entgegenwirken((Lobell et al. (2008), Verdin et al. (2005).)).

6. Abnehmende Forschungsausgaben

Prinzipiell existieren zwei Möglichkeiten die Produktion von Agrarrohstoffen (Lebensmitteln) zu steigern. Einerseits kann die Anbaufläche ausgeweitet werden, was jedoch aufgrund der Nachfrage nach Biokraftstoffen, Tiernahrung und dem steigenden Bedarf an Siedlungsfläche sehr unwahrscheinlich ist und zum anderen kann die Produktivität pro Fläche beim Anbau von Agrarrohstoffen verbessert werden. Zwischen 1961 und 2007 erhöhten sich die Erträge von Mais und Weizen um den Faktor 2,6 (pro Fläche). Eine ähnliche Produktivitätssteigerung ist auch für Reis und Sojabohnenerträge festzustellen. Im Laufe der genannten Jahrzehnte hat sich der Anstieg der Produktivität pro Hektar jedoch abgeschwächt, was Wissenschaftler als Indikator sinkender Forschungsausgaben werten. Forschung und Entwicklung ist ein langsamer Prozess, somit wirkt eine Änderung der Forschungsausgaben nur langsam und stark zeitverzögert. Ein ähnlicher Verlauf ergibt sich bei der Produktivität pro Arbeitskraft, welche sich während der letzten Jahre ebenfalls verlangsamt hat((Alston et al. (2009).)).

Welchen Einfluss jede einzelne der genannten Determinanten auf Angebot und Nachfrage von Agrarrohstoffen sowie deren Preisentwicklung hat, ist auch unter Beachtung der gegenseitigen Einflussnahme, nur schwer quantifizierbar. Fest steht indes, dass die Spekulation mit Agrarrohstoffen, wenn überhaupt, nur eine von vielen potenziellen Einflussgrößen auf den Hunger in der Welt ist. Wobei auch hier noch einmal darauf hinzuweisen ist: Spekulation beinhaltet laut Definition Risiko. Wo ist das Risiko bei einer schrumpfenden die Menschheit ernährenden landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, bei einer stetig wachsenden Weltbevölkerung? Die Menschheit wächst, aber unsere Erde wächst nicht mit!

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Literatur/Quellen

Alston, J., Beddow, J., Pardey, P. (2009), Agricultural Research, Productivity, and Food Prices in the Long Run, in: Science 325.5945, S. 1209-1210.

Bohl, M., Ott, H., von Ledebur, O. (2015), Kurzfristige Dynamik von Preisbildungsprozessen deutscher Agrarrohstoffe, in: Thünen Report 28, Braunschweig: Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut.

Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) (2014), Basisdaten Bioenergie Deutschland 2014, Festbrennstoffe, Biokraftstoffe, Biogas, September 2014.

Lobell, D., Burke, M., Tebaldi, C., Mastrandrea, M., Falcon, W., Naylor, R. (2008), Prioritizing Climate Change Adaptation Needs for Food Security in 2030, in: Science 319, S. 607-610.

Mitchell, D. (2008), A Note on Rising Food Prices, Working Paper, Washington D.C.: World Bank.

OECD-FAO (2014), Agricultural Outlook 2014 – 2023, OECD Publishing.

OECD-FAO (2015), Agricultural Outlook 2015 – 2024, OECD Publishing.

tagesschau.de-Interview (2012), Kritik an EU-Agrarsubvention, „Unsere Subventionen töten Menschen“, Interview mit Jean Ziegler,
http://www.tagesschau.de/ausland/agrarsubventionen130.html, Abrufdatum: 05.10.2017.

Tangermann, S. (2011), Policy Solutions to Agricultural Market Volatility: A Synthesis, in: ICTSD Programme on Agricultural Trade and Sustainable Development 33.

U.S. Department of Agriculture (USDA) (2016), World Agricultural Supply and Demand Estimates and National Agricultural Statistics Service.

Verdin, J., Funk, C., Senay, G., Choularton, R. (2005), Climate science and famine early warning, in: Philosophical Transactions of the Royal Society B 360.1463.

Wright, B. (2009), International Grain Reserves and Other Instruments to Address Volatility in Grain Markets, The World Bank.

Wright, B. (2014), Global Biofuels: Key to the Puzzle of Grain Market Behavior, in: Journal of Economic Perspectives 28.1, S. 73-98.