Hamburg, im Februar 2017

Neujahrsbrief 2017 „#PoorPayMore …”

Liebe Freundinnen und Freunde des iff, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

Meine besten Wünsche für ein gutes neues Jahr 2017, in dem ich zum ersten Mal seit 1983 alle Verantwortung für das iff an Jüngere übergeben durfte.

Schauen wir zurück. Am 30. Juni 1983 hatten wir in der Verbraucherzentrale Hamburg eine Pressekonferenz zum Abschluss unserer Kampagne gegen sitten­widrige Raten­kredite. Sie gab den Stoff für über 300 Zeitungsartikel, 15 Fernsehsendungen und viele Rundfunkinterviews. Die sozialen Medien gab es noch nicht. Es war der Höhepunkt des vom Bundesjustizministerium in Bonn und der EU-Kommission finanzierten Forschungs­projektes „Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung”. Der dazugehörige rechts­soziologische Förderschwerpunkt hieß pikanterweise „Entlastung der Justiz durch außergerichtliche Streitbeilegung”. Ich hatte das Thema kreativ ausgelegt und Herrn Strempel vom BMJ überzeugt: wir wollten, dass mehr Verbraucher ihre Rechte gegenüber Banken wahrnehmen, gleichzeitig aber weniger davon die Gerichte belasten sollten – also eine relative Gerichtsentlastung.

Wir konnten beides erreichen: Hunderttausende von Beschwerden aber eine Klagerate von unter 0,1 %. Verbraucher bekamen ihr Recht, weil der öffentliche Druck die Banken zu kollektivem Handeln zwang. Recht ist am stärksten, wenn es zur Durchsetzung keine staatliche Gewalt braucht. Damit war die Aktion natürlich nicht zu Ende. Die Beschwerden nahmen zu. Verbraucher entdeckten, dass ihnen Unrecht geschah und Banken nicht unverwundbar waren. Verbraucherzentralen lernten, dass die komplizierte Spezialmaterie durchaus einfache Grundprinzipien haben kann, so wie wir es 2002 mit den sieben Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe international festlegen konnten.

Das führte zum iff. Die Verbraucherzentralen waren auf den Ansturm nicht vorbereitet. Sie wollten weitere Hilfe haben, so wie das iff sie seitdem mit den Infobriefen bereitstellt. Doch die Projektgelder waren ausgelaufen. Ein Zentrum musste finanziert werden. Dies führte zu unserem Entschluss, einen Stempel anfertigen zu lassen. Darauf standen die Worte: Institut für Finanzdienstleistungen im Arbeitskreis Rechtssoziologie e.V. Der neue Ein-Mann-Betrieb hatte mich als Direktor. Der BdV gab den ersten Auftrag: 10.000 DM für ein Rechtsgutachten. Das Gutachten blieb dessen erster und bisher letzter Auftrag. Verbraucherschutz kennt mehrere Konzepte und die Idee von der Versichertengemeinschaft als Eigentümer der Prämien war nicht unsere. Aber mit den 10.000 DM konnte eine studentische Hilfskraft, ein halber Raum und das Porto für das erste Jahr beglichen werden. Vier Jahre später 1987 wurde dann der Arbeitskreis in iff e.V. umbenannt.

Nach über 30 Jahren bin ich für das iff nun wirklich Pensionär. Die Rente mit 68 geht, wenn man so nette Mitstreiter hatte. Im Juni folgten mir Dirk Ulbricht als Direktor und im November Udo Philipp und Ingrid Größl als Vorstand. Lassen sie sich von dem verbliebenen Titel eines Forschungsdirektors für Sozialökonomie nicht irreleiten. Ich will und habe nichts mehr zu sagen und freue mich sehr darüber. Schon die letzten Jahre waren schwer. Geldgeber, die kaum Fachkompetenz haben oder wissen, was Verbraucherschutz ist, sind mit zunehmendem Alter schwerer zu ertragen. Die vorgegebenen Ergebnisse, z.B. das Provisionen immer schlecht, nationaler Verbraucherschutz immer protektionistisch und das Internet immer die bessere Option ist, am Wucher die Kreditnehmer schuld und Entwicklungsländer im Zahlungsverkehr nicht zählen ließen oft nur nichtssagenden Berichte zu.

Mein Rechenschaftsbericht. Was ich aus den EU-Projektberichten ausradieren musste, habe ich in den letzten fünf Jahren in drei Büchern zusammengefasst, die unter dem Titel „Das Geld” gerade erschienen sind. Es ist Lehrbuch und Nachschlagewerk. Es ist die Zusammenfassung der Erkenntnisse aus 40 Jahren interdisziplinärer Forschung zu Finanzdienstleistungen für Verbraucher und Mittelstand. Es begann 1976 mit einem Aufsatz „Abzahlungsrecht und Verbraucherschutz”. Schuld und Schulden, Geld und Geltung, Wagnis und Wucher, Kultur und Kapital, Wirtschaft und Wachstum, Marx und Money, Futur und Future, Armut und Ausschluss, Gemeinschaft und Gesellschaft, Macht und Mythos – wer wissen will, wie es über Jahre gelang, zwischen allen Stühlen zu sitzen, wer Antworten braucht zu Fragen, die er oder sie nicht gestellt haben, wer die Welt aus der Schuldnerperspektive betrachten will, eine verkehrte Welt des Geldes vom Kopf auf die Füße stellen oder an emotionaler Wissenschaft schnuppern will, der sollte einmal vorbeischauen. Die Gegenstände reichten von Nationalbank bis Nationalsozialismus, Dollar bis Drachme und ranken sich um Begriffe wie Terrainwechsel, Schuldner, Gerechtigkeit, Kooperation und Heuristik. Band  1 erklärt Wirtschaft als Kooperation, Band 2 Armut, Reichtum, Schuld und Schulden sowie die Mythen von Microlending bis zum Alternativgeld. Band 3 vermittelt, wie man ihrer mit dem Recht Herr werden kann. Praktische Anwendungsbeispiele aus Gegenwart und Vergangenheit gibt es in den Fußnoten, wo auch die Literatur verarbeitet wird. Zwei Philosophen kommen häufig vor: Aristoteles für das Verständnis der Realität von Wirtschaft, Gesellschaft und Recht, Marx für die Entdeckung ihrer ideologischen Verzerrungen in unserem Bewusstsein. Paolo Grossi entdeckte für mich die Dauer im Recht und Max Weber das Verhältnis von Geldreichtum und Almosen. Über tausend andere gaben Möglichkeiten, sich anstoßen oder auch abstoßen zu lassen.

Wer wissen will was Wirtschaft, Geld, Kapital, Risiko oder CDOs und short bedeutet, wer fragt, warum Gerechtigkeit gleiche Freiheit und Wirtschaft Zusammen-Arbeit ist, warum es neben dem Wachstum keine Zinsen geben kann; wer die modernen wie historischen Praktiken von Wucher und Glücksspiel kennen lernen und den Verbraucherkonkurs des Kaisers Hammurapi in Babel studieren will – der sollte einmal vorbeischauen. Es gibt so viel Sinnvolles und Nutzbares zu berichten, um eine Zukunftsperspektive mit dem Geld statt dagegen zu schaffen. Herr und Frau Geld gibt es nicht. Es sind Besen, die nur in der Einbildung Wasser holen. Geldreichtum ist eine Schimäre. Als Vorstellung leitet sie uns an zum Guten wie zum Schlechten. Die Bücher versuchen die Leser dort abzuholen, wo sie stehen, sehen und sind. Nichts was Du Dir gedacht hast ist so simpel und unbedarft, dass Du es nicht in die großen politischen Diskussionen um unsere Zukunft einbringen könntest. Probiere es aus. Das Wort Demokratie kommt von Volk und nicht von Werten, die uns andere Vordenken wollen. Die wissenschaftlichen und begrifflichen Schutzmauern der Besserwisser haben Lücken. Durch sie kann unser dürftiges Denken eindringen.

Gegen den Wucher. Ein kleines viertes Buch ist auch schon fertig. Es folgt im Mai und erklärt die Finanzkrise als Wucher und Glücksspiel und zeigt damit auch auf, wie sie nachhaltig verhindert werden kann. Es nutzt das in Bd. 1–3 angesammelte Wissen und zeigt Instrumente auf, wie dem Grundübeln aller Geldwirtschaften ein Flussbett gegraben werden kann. Mein Freund David Caplovitz, der mit der Studie The Poor Pay More 1963 als Vater der Überschuldungsforschung angesehen werden kann, studierte mit 60 Jahren Jura. Er wollte als Anwalt einen Schadensersatzanspruch („tort”) wegen Zerstörung amerikanischer Familien durch wucherische Kredite von Citibank vor Gericht durchzusetzen. Der Krebs hinderte ihn daran. In dem Sammelband Banking for People, dessen Titel er noch bestimmte und das wir ihm widmeten setzte er mich in seinem Beitrag zur Credit Card Mania als seinen Erben ein. Ich habe das nie vergessen. Mit dem Hashtag #PoorPayMore möchte ich ebenfalls als Rechtsanwalt gegen den Wucher im Bankenbereich kämpfen. Ich möchte die Fragen derjenigen exemplarisch aufwerfen, die keine Rechtsvertretung finden, sie nicht bezahlen können oder Angst haben, ihr Recht einzuklagen. In das allgemeine Gerede über soziale Gerechtigkeit, die den Kampf gegen die Armut oft als Kampf gegen die Armen enden lässt, möchte ich einen Kampf gegen die Verarmung setzen. Vielleicht hilft der Wahlkampf.

Die Aktionen sollen nicht auf Deutschland begrenzt bleiben. Die Coalition for Responsible Credit in Europa bzw. die Coalition for Community Reinvestment in den USA haben Prinzipien aufgestellt, darunter auch das Verbot von Wucher und dem Ausnutzen von Notlagen. Das richtet sich gegen eine fortdauernde Praxis wie sie der Chefideologe des Egoismus, Jeremy Bentham, gegen Adam Smith 1787 unter dem Titel „Die Vertheidigung des Wuchers” forderte.

Theoretisch haben wir alle mit im Boot. Sozialisten geißeln den Wucher als Ausbeutung, Sozialdemokraten als Übervorteilung, Liberale als Missbrauch von Marktmacht, Konservative als verantwortungslos und die Religionen als Geldgier. Auch Banken sind dagegen, seitdem sie wissen, dass der Wucher in den USA bei Kreditkarten und Hypothekenkrediten die Subprime(=Wucher)-Krise ausgelöst haben. Doch der Wucher hat sich verändert. Er ist vom gefährlichen Raubtier zu einer Armee winziger Heuschrecken mutiert, die alles fressen, was nicht fest verankert ist. Das in Kleinbeträgen geraubte Geld finden wir dann in den 10 Mrd. € wieder, die die Bankenaufsicht gerade als Gehaltssumme der 5000 bestverdienenden Investmentbanker im Jahre 2015 festgestellt hat. Immer mehr Menschen hat man mit dem Begriff des Risikos ihre Armut wie eine Pestbeule anmodelliert, um sie diskriminieren zu können.

Bitte um Mithilfe. Um diese Sisyphusarbeit zu beginnen, brauchen wir viel: mathematische Gutachten zur Zinsberechnung, volkswirtschaftliche Statistiken über Geld und soziale Not, Familienstudien, Einzelfälle, Schuldnerberater, Verbraucherzentralen, Journalisten und Experten für die sozialen Medien und Politiker, die dies öffentlich unterstützen. Das kostet Geld. Das iff soll dabei mithelfen. Dazu aber muss es eine finanzielle Deckung haben. Als gemeinnütziger Verein ist es spendenberechtigt. Überlegen sie sich dies. Auch Kleinbeträge helfen. Mit #PoorPayMore können Sie anregen, wo es benutzt werden soll. Auch andere Zwecke sind willkommen.

Ich danke Udo Philipp und Dirk Ulbricht, dass ich noch einmal einen Neujahrsbrief des iff in eigener Sache schreiben durfte. Ich danke den über 100 Beschäftigten am iff, die die 30 Jahre möglich gemacht haben. Ich danke vor allem aber auch Ihnen und Euch, dass wir so viele Jahre arbeiten konnten, über alle Krisen hinwegkamen. Arbeiten für Geld und gegen das Geld zwischen wirtschaftlichem Ruin und Prostitution ist nicht immer schmerzfrei. Vertrauen war ein guter Lohn, Kritik ein guter Antrieb. Danke!

Udo Reifner