Assoziationen zu: Gestalten oder Richten. Zur Zukunft des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens von Udo Reifner, abgedruckt in Neuner/Raab (Hrsg.), Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung, 2011, S. 31 ff.
von Wolfhard Kohte

 

Der außergerichtliche Einigungsversuch hat die Qualität eines Alleinunterhalters auf der Bühne des deutschen Verbraucherinsolvenzrechts. Regelmäßig soll er in die Archive der Rechtsgeschichte abgeschoben werden – aber kurz vor dem Absturz gelingt ihm ebenso regelmäßig ein Comeback. In dem hier kommentierten Text beginnt Udo Reifner in klassischer Methodik mit der historischen Entwicklung vom Konkurs zum Vergleich, von der Liquidation zur Sanierung. Als 1993 die lange übersehenen Verbraucher im Gesetzgebungsverfahren zur Insolvenzordnung auftauchten,((ausführlich Kemper/Kohte, Kein Ausweg aus dem Schuldenturm, Blätter der Wohlfahrtspflege 1993, S. 81 ff.)) wurden in vorletzter Minute der außergerichtliche Einigungsversuch und ein gerichtliches Bereinigungsverfahren eingefügt. Für Udo Reifner war das eine prinzipielle Änderung des bisherigen konkursrechtlichen Leitbilds:

„Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch für das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren. § 305 Abs. 1 Ziff. 4 InsO, der für obrigkeitsgewohnte Rechtsdiener eine erstaunliche Provokation enthält, weil er einen staatlichen Auftrag zur Vermittlung (Mediation) statt zur Rechtsanwendung (Subsumtion) enthält, bestimmt, dass ein Schuldenbereinigungsplan alle Regelungen enthalten kann, die unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sowie der Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse des Schuldners geeignet sind, zu einer angemessenen Schuldenbereinigung zu führen; in den Plan ist aufzunehmen, ob und inwieweit Bürgschaften, Pfandrechte und andere Sicherheiten der Gläubiger vom Plan berührt werden sollen. Hier geht es um die dem Zivilrecht typischerweise fremde volle Berücksichtigung der Sozialexistenz des Schuldners und eine auf Konfliktlösung programmierte Verhaltensweise.“

So prinzipiell hatten das die Gesetzesmacher nicht sehen wollen. Es kann nicht überraschen, dass die Beteiligten schon auf der Hälfte des Wegs der notwendige Mut verlassen hatte. Das für die Konfliktlösung wichtige Zustimmungsgesetzgebungsverfahren nach § 309 InsO wurde an die im Lauf von 7 Jahren verwertbare Insolvenzmasse gebunden, so dass die notwendige Kreativität und Flexibilität wieder in die engen Kategorien der Schuldbeitreibung gedrängt wurden. Dies war ein Rückschritt, denn es gab – worauf Udo Reifner in diesem Text hinwies – bereits mehr als 1000 Schuldnerberatungsstellen, die inzwischen eine vielfältige Praxis realisiert hatten, die zu entfalten und nicht einzuschränken war.((dazu Kohte, Festschrift für Remmers, 1995, S.479 ff.)) Noch vor Inkrafttreten der InsO unterstützte Udo Reifner zusammen mit Susanne Veit diesen Prozess mit einem Handbuch, das Formulierungshilfen und Hinweise zu Verfügung stellte.((Veit/Reifner, Außergerichtliches Verbraucherinsolvenzverfahren, 1998))

Als 1999 die Insolvenzordnung in Kraft trat, entfaltete sich die Verbraucherinsolvenz nur langsam. Kostenhürden und Schwierigkeiten beim Ausprobieren neuer Wege standen dem zivilgesellschaftlichen Aufbruch im Wege. In dieser Situation stellte Udo Reifner in einer ersten Zwischenbilanz den außergerichtlichen Einigungsversuch ins Zentrum seiner Überlegungen in einem seiner zahlreichen Vorträge für Beraterinnen und Berater:

„Es besteht kein Zweifel daran, dass die Begründung für die Einfügung des außergerichtlichen Verfahrens in die Insolvenzordnung weiterhin Gültigkeit hat:

  • Das außergerichtliche Verfahren ist für Gläubiger, Schuldner und Staat billiger;
  • es ermöglicht die für jeden wirtschaftlichen Reorganisationsprozess notwendige aktive und eigeninteressierte Mitarbeit des Schuldners;
  • es lässt flexible Anpassungen und die Einschaltung von Schiedsstellen zu, die gewährleisten, dass die Entschuldung geordnet, gerecht und angepasst fortschreitet und damit die Reintegration des ohnehin fortbestehenden Unternehmens „Mensch“ gesichert wird;
  • es hält die Schuldner im Finanzdienstleistungssystem, verhindert den Ausschluss und schafft die Möglichkeiten, diese Leistungen für die Rehabilitation zu nutzen;
  • es gibt der Schuldnerberatung eine aktive und vom Vertrauen des Schuldners getragene Begleitfunktion bei dessen wirtschaftlicher Genesung;
  • es verhindert Kriminalität, die sich notwendig zur Umgehung der gerichtlichen Obliegenheiten sowie der Pfändung aus dem gerichtlichen Insolvenzverfahren ergeben muss.“

Dieses Plädoyer hätte gut alle 5 Jahre abgedruckt werden können, denn bei jeder Nachbesserung und Korrektur der InsO stand der außergerichtliche Einigungsversuch auf der Kippe. Bei jeder Debatte war es erforderlich, ihn zu verteidigen und neue Elemente zu initiieren.((dazu Kohte, ZVI 2005, 9, 14.)) Besonders turbulent war die schwarz-gelbe Regierungsperiode zwischen 2009 und 2013. Es begann mit einem Koalitionsvertrag, der die Stärkung des außergerichtlichen Einigungsversuchs propagierte. Auf einen wenig stärkenden Referentenentwurf folgte mit einem Salto rückwärts ein Regierungsentwurf, der den Einigungsversuch abschaffen und die Chancen vor allem der verletzlichen Verbraucher deutlich erschweren sollte.((Kritik bei Kohte VuR 2012, 381.)) Wer ein Jahr später in das Bundesgesetzblatt schaute, musste sich verwundert die Augen reiben, denn diese Abbaumaßnahmen waren nicht durchgeführt worden. Zutreffend resümierte Kai Henning, dass das Beste an dem neuen Gesetz dasjenige sei, was nicht geändert worden war.((Henning, ZVI 2014, 7, 17.)) Es ist wenig wahrscheinlich, dass im zuständigen Ausschuss des Bundestages das hier dokumentierte Plädoyer von Udo Reifner gelesen und beherzigt worden war. Zeitzeugen erinnern sich allerdings an die intensive zivilgesellschaftliche Opposition der Schuldnerberatung sowie der Verbraucherverbände, denen diese Vorträge noch im Ohr waren, weil sie durch ihre Praxis bestätigt worden waren. Zusätzlich erhielten sie Unterstützung aus den Sozialministerien, die in Sorge um ihre Haushaltsansätze im Bereich der Grundsicherung waren.

Inzwischen hatte sich empirisch gezeigt, dass Schuldnerberatung im Bereich der Armutsbekämpfung und der Integration in den Arbeitsmarkt wirksam sein kann.((z.B. die vom Familienministerium veröffentlichte Untersuchung von Hamburger/Kuhlemann/Walbrühl, Wirksamkeit von Schuldnerberatung, 2004.)) Dabei spielte der außergerichtliche Einigungsversuch eine reale Rolle. Die Statistiken der Landessozialministerien hatten ermittelt, dass er in nahezu 17 % der Beratungsfälle erfolgreich war und durch Bürgschaftsfonds und andere Unterstützungsmaßnahmen noch wesentlich erfolgreicher war.((Hofmeister/Schilz, ZVI 2012, 134, 137.)) Weitere Untersuchungen von außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren bestätigten diese Werte.((Reill-Ruppe, Anspruch und Wirklichkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens, 2013, S. 180 ff.)) In Übereinstimmung mit den Thesen von Udo Reifner hat vor kurzem einer der bekannten Bankjuristen das auf außergerichtliche Verfahren setzende Modell der Stephan-Kommission((Stephan VIA 2012, 65 ff.)) nachhaltig unterstützt.((Saager, ZVI 2016, 213 ff.)) Es wäre jedoch verfehlt, aus diesen bunten Blüten im Dickicht des Insolvenzrechts auf einen kurzfristigen Erfolg des außergerichtlichen Einigungsversuchs zu setzen.

Widerstand bestand und besteht weiter in vielfältiger Form. Udo Reifner ortete diesen Widerstand in seinem Vortrag als eine „spezifische deutsche Unterwerfungsideologie, die letztlich den Schuldner doch wieder nicht als Wirtschaftsbürger, selbstständig Handelnden, sondern als Objekt der Betreuung durch die Sozialverbände, als Objekt der Schuldbeitreibung durch die Gläubiger und als Objekt für Erziehung durch Richter und Juristen ansieht.“

Dies umschreibt wichtige Konfliktlinien um die Gestaltung der Verbraucherinsolvenz in den letzten 20 Jahren. Regelmäßig finden wir gerichtliche Entscheidungen, in denen der Schuldner zu einem ordentlichen Leben erzogen werden soll und Rechtsnachteile erfahren soll, wenn er zB auf dem Arbeitsmarkt nicht bereit ist, Arbeit zu leisten, mit dem nicht einmal ein pfändbares Einkommen erwirtschaftet werden kann. So wollten verschiedene Insolvenzgerichte die Restschuldbefreiung versagen, wenn Schuldner eine solche Arbeit nicht annahmen, obgleich daraus weder für die Staatskasse noch für die Gläubiger auch nur ein Cent erwirtschaftet werden konnte. Erst in der emotionsarmen Luft in Karlsruhe konnte herausgearbeitet werden, dass Gerichte eine solche Tätigkeit, die ausschließlich der Erziehung dient, nicht verlangen können.((BGH ZInsO 2010, 1153 und VuR 2011, 102 m. Anm. Kohte.)) Engagierte Plädoyers der Schuldnerberatung fanden schrittweise gerichtliche Akzeptanz.((beispielhaft LG Stuttgart VuR 2013, 267 und die revisionsrechtlich ungewöhnliche Bewertung eines Schreibens des Diakonischen Werks in BGH VuR 2011, 102)) Inzwischen ist diese Erkenntnis auch in § 4c und § 296 InsO normiert.((dazu nur FK-InsO, 9. Aufl. 2018: Kohte § 4 c Rn. 29 und Ahrens § 296 Rn. 23.))

Das sind Fortschritte, auf die 1999 noch nicht gesetzt werden konnte. Die von Udo Reifner verlangte Devise „Mediation statt Subsumtion“ wurde erfolgreich praktiziert vom LG Bonn, nachdem das AG Bonn sich bemüht hatte, eine andere Prognose von Udo Reifner zu bestätigen:

„Juristen, die vor allem lernen, mit Urteilen über falsch und richtig ihre Umwelt zu paralysieren, werden nicht schon deshalb konstruktive Konfliktbewältiger, weil es ein Paragraph im Gesetz so anordnet.“

Das AG Bonn hatte ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren mit nicht einmal subsumtionsgeeigneter((Deswegen sollte aus meiner Sicht die Devise „Mediation statt Schematismus“ heißen; wenn die Struktur der §§ 304 ff InsO verstanden ist, ist die teleologische Auslegung und Subsumtion eine Hilfe gegen das Erziehungs- und Strafdenken: Kohte VuR 2010, 151 zu BGH VuR 2010, 149.)) Begründung abgelehnt, obgleich im außergerichtlichen Einigungsversuch die Kapital- und Kopfmehrheit erreicht worden war. Das LG Bonn schob – im Ergebnis nicht durchgreifende((Laroche NZI 2016, 846)) – Zweifel an der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde zur Seite und verlangte eine ordnungsgemäße Prüfung des Schuldenbereinigungsverfahrens.((LG Bonn VuR 2017, 237 m. Anm. Kohte.)) Darauf erklärte der bisher opponierende Gläubiger einen Forderungsverzicht und die beiden vergleichsbereiten Gläubiger erhielten die im Vergleich festgelegten Raten und der Schuldner die vertragliche Restschuldbefreiung.((Buschmann ZVI 2016, 392))

Das sind Lernprozesse für Freunde der Dialektik, doch nicht alle Probleme lassen sich mit dem außergerichtlichen Einigungsversuch lösen. Mit klarer Analyse hatte Udo Reifner 1999 das Fortbestehen „moderner Schuldturmverfahren“((vgl. Kohte, Die Unsichtbarkeit schneller Verschuldung und die Sichtbarkeit dauerhafter Schuldbeitreibung, in Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven, 2006, S. 191 ff.)) kritisiert.

„Dieses Verfahren besteht in der selektiven Beauftragung von Gerichtsvollziehern als psychologischem Druckmittel, in Mahnschreiben, auflaufenden Verzugszinsen und psychologischen Tricks, wie man Menschen über Jahre in der Abhängigkeit und Unmündigkeit von persönlicher Schuld hält. Von diesem Verfahren lebt immer noch ein großer Teil der Inkassobranche.“

Hier greift Mediation zu kurz. Das aktuelle Unionsrecht((EuGH VuR 2017, 423 (Gelvora).)) sieht in solchen Praktiken eine unlautere Forderungsbeitreibung und aggressive geschäftliche Handlungen, gegen die das Mittel der Verbandsklage eingesetzt werden kann.((Kohte VuR 2017, 403.)) Erste gerichtliche Entscheidungen((BGH NJW 2015, 3508 = VuR 2016, 67 m. Anm. Hofmann; LG Düsseldorf VuR 2017, 429 m. Anm. Köster)) dokumentieren, dass dies ein aussichtsreicher Weg ist. Über mögliche Wege, Umwege und Erfolge kann aus Anlass eines anderen Geburtstags diskutiert werden.

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